Datum: Samstag, der 23.04.2016
Position: Kiel, Schwentine
Autorin: Karla
Am Anfang fieberte man auf ihn hin, er schien so unerreichbar, doch schon früh änderte man seine Meinung und es graute einem vor dem 23.4.2016, dem Einlauftag im Heimathafen Kiel. Zum letzten Mal weckt mich Vinzent so, wie ich es ihm gesagt habe: Ohne Uhrzeit, nur Temperatur und ich solle doch bitte mein Kojenlicht anmachen. Ich schaue mich in der Kammer um, alles ist kahl und trostlos. Auf dem Boden liegen nur noch die „schönsten“ Schuhe, am Bettende stapeln sich keine dicken Anziehsachen mehr, denn diese sind im Seesack auf der Ladeluke. Nur noch das KUS-Polo und eventuell eine Jeans ohne Löcher liegen in der Koje. Die Wände sehen ohne Fotos so ungewohnt unfreundlich aus, sodass ich froh bin, draußen meine gesamte Wache zu treffen und den Sonnenaufgang beobachten zu können. Der letzte Sonnenaufgang und das letzte Mal Wache gehen während unserer Reise. Zum letzten Mal klingelt die Backschaft zum Essen und die Stille Minute ist irgendwie anders. Ich schaue mich um und versuche mir den Fakt, dass in ein paar Stunden die Reise beendet ist, aus dem Kopf zu schlagen.
Die Backschaft teilt wieder einen Löffel Jogurt, zwei Löffel Müsli, einen Schuss Milch und Cornflakes aus. Jeder Tisch bekommt so viel Orangensaft wie er will, er muss schließlich weg. Lange habe ich mich auf einen GANZEN Becher Jogurt mit Unmengen von Knuspermüsli gefreut und Milch mit Cornflakes und nicht andersherum. Ich habe frisch gepressten Orangensaft schätzen gelernt und dunkles, saftiges Brot vom Bäcker sowieso, doch jetzt, wo es wieder zum Greifen nah ist, habe ich gemerkt, dass ich noch länger darauf verzichten könnte und dafür lieber wieder umdrehen würde und zurück ins Warme segeln möchte…natürlich mit allen anderen.
Nun denn, das Leben ist kein Wunschkonzert und so geht auch diese Reise zu Ende mit einem extra gründlichen Reinschiff auf allen Stationen. Nichts wird vergessen, weder die frisch entstopfte Toilette, noch der Kompass und die Bilgen in der Last, wir wollen bei unserer Ankunft glänzen. Das erste Mal klingelt es zum Lichten des Ankers, dann wird es beim zweiten Mal ernst, es klingelt „lang-kurz-lang“, Signal-K, was bedeutet, wir werden oben in Einlaufkleidung und Gurt erwartet. Ein paar KUSis kullern schon die Tränen über das Gesicht, andere sind bloß still, der Rest muntert sich mit „Laurenzia“ und Gruppenkuscheln auf. Der Aufstieg auf die Rahen beziehungsweise in die Wanten wird fröhlich mit unseren Lieblings Shanties vollzogen. Ich nehme meine Position ein, von der Back werden alle noch ein wenig in ihrer Haltung perfektioniert und schon ist „die Ecke“ in Sicht, um die uns die Thor bringt.
Zuerst ist eine Menschenmasse in Sicht, Tröten und Rufe unserer Familien kann man mit der Zeit hören und dann werden aus der Masse einzelne kleine Punkte, die immer größer werden und irgendwann als Familie zu identifizieren sind. Wie die meisten von uns stehe ich, wie in einem Film, einfach da und winke, ohne etwas zu sagen und ohne diesen besonderen Moment überhaupt wirklich realisieren zu können, bis Jonas mit einem lauten „O ALELE“ endlich die für uns ungewöhnliche Stille bricht und wir unseren Angehörigen auf ihre Schreie antworteten. Mit dem Typhon werden sie begrüßt und kurze Zeit später bekommen wir das Signal zum Abentern und Anlegen. Die Eltern und Ex-KUSis nehmen die Festmacherleinen an und machen die Thor an dem Ort fest, an welchem wir vor genau 190 Tagen losgemacht haben. Die Gangway, die uns an den unterschiedlichsten Orten dieser Welt den Zugang zu neuen Abenteuern verschafft hat, führt uns nun geradewegs, stolz, um viele Erfahrungen reicher, strahlend und überglücklich in die Arme unserer Eltern, Verwandten und Freunde. Zehn Minuten werden wir gedrückt, geküsst, bestaunt, berochen, es ist nicht ein „Hallosagen“, es ist ein Wiederkehren auf das, vor allem die Eltern, sechseinhalb Monate, 190 Tage oder 4560 Stunden gewartet haben.
Dann beginnt die Begrüßungszeremonie. Wir stehen eng beieinander an Steuerbordseite auf dem Hauptdeck, die Eltern singen das umgedichtete „Guantanamera“ für uns. Mein Vater hält eine Rede im Namen aller Eltern mit viel Liebe zum Detail. Er hat dieses Tagebuch wohl gut verfolgt, man könnte meinen, er sei die ganze Zeit bei uns gewesen. Wir KUSis schmettern ein letztes Mal unsere liebsten Shanties und selbstgedichteten Lieder. Ruth gibt den Eltern und uns noch ein paar warme Worte mit auf den Weg in die Zukunft ohne die Thor Familie. Uri und Emilia lassen die Reise noch einmal für alle Revue passieren. Zu guter Letzt überreicht Detlef jedem KUSi einzeln die Meilenbestätigung. Bei der anschließenden Runde, wird jeder vom Stamm in den Arm genommen und stärkende Worte werden zugesprochen. Umschlag mit Zeugnis, Reisepass und Briefen, die wir uns gegenseitig geschrieben haben werden ausgeteilt. Die Abschiedsstimmung nimmt überhand, da hilft nur noch Gruppenkuscheln, das feuchteste dieser Reise…dies hätte ein Härtetest für das Ölzeug werden können.
Dann der letzte offizielle Akt, Detlef erklärt die Reise für beendet, viermal jeweils mit zwei Schlägen erklingt die Schiffsglocke. Es ist vorbei, KUS 15/16 ist zu Ende. Keiner von euch Eltern muss mehr bei Marine Traffic suchen, wo denn gerade das liebe Kind ist und ihr müsst euch auch keine Sorgen mehr machen, ob wir wohl seekrank sind oder von einer Welle verschluckt werden. Wir sind wieder bei euch.
Liebe zweite Familie,
das Leben mit euch wird mir sehr fehlen. Ich bin euch unglaublich dankbar für die Erinnerungen, welche ich nun in meinem Kopf noch sortieren muss, da sie noch wie ein Traum herumschwirren, den ich einfach nicht realisieren kann. Lasst uns nach vorne schauen und uns auf viele gemeinsame Momente freuen. Mast- und Großtoppschotbruch, immer einen Riss im Großsegel, und eine handbreit Osmosewasser im Kochtopf!