von Markus
Gestern hieß es noch, wir hätten heute viel zu tun und die Wahrscheinlichkeit, Zeit im Pool verbringen zu können, sei relativ gering. Aber der Tag vor dem Ablegen brachte den meisten von uns viel freie Zeit, und so hatte man (neben Briefeschreiben oder der Fertigstellung des Kubaberichts) auch die Möglichkeit, ein bisschen über die restlich Reise nachzudenken.
So liege ich also am Pool und lasse meine Gedanken schweifen.
Gedankenverloren fange ich an, nebenbei „Sailing“ zu summen.
Was war den nicht schon alles geschehen? Es war nicht nur so, dass Panama, ein Land voller Eindrücke, neuer Erfahrungen und Erlebnisse nun schon gefühlt ewig hinter uns liegt, nein, auch der zweite lange große Landaufenthalt in Kuba, neigte sich definitiv dem Ende zu. Kuba war das Land der absoluten Gegensätze zu unserem Zuhause. Am Anfang der Reise dachte man sich noch, ja, ja, bis Kuba hat man ja noch eine Ewigkeit, aber die Zeit verging wie im Flug, sodass wir morgen schon zu den Bermudas aufbrechen werden.
Doch meine Gedanken bleiben nicht nur in der Vergangenheit hängen, nein, sie schweifen auch in die Zukunft. Ich überlege, was noch so kommen wird, was die Etappe bringt, und was ich in der nächsten Schiffsübergabe werden möchte. Doch wird uns allen auch zunehmend bewusst, dass es immer noch (bei den Optimisten) oder nur noch (bei den Pessimisten) 62 Tage sind.
62 Tage.
Sie können ewig dauern und hören sich auch nach extrem viel an, doch wenn ich überlege, wie schnell die letzten Tage vergangen sind, dass wir heute schon Tag Nummer 129 haben, wird mir schmerzlich bewusst, dass es doch nur noch ein Drittel der ganzen Reise ist.
62 Tage bedeutet noch 22 mal zu duschen. 22 mal zu duschen bedeutet hier an Bord, insgesamt noch 44 min Duschzeit zur Verfügung zu haben. 44 Minuten. So lange duschen manche zu Hause an einem Tag.
Doch nicht nur beim Duschen sinkt die Zahl stetig. Beim Waschen ist die Zahl nicht einmal mehr zweistellig und liegt bei 9 Waschtagen. Wenn man es dann wieder hochrechnet, wie viele Waschmaschinenladungen man bekommt, könnte es bei manchen sogar über den zweistelligen Bereich hinaus steigen.
Am deutlichsten sieht man es allerdings bei der Backschaft. Wenn alles normal läuft, habe ich nur noch 6 mal die Aufgabe, für die Mannschaft zu kochen. Manche würden bei dieser Zahl einen Luftsprung machen und sich riesig freuen, da es nicht der Lieblingsjob aller ist, mich überkommt dabei jedoch eine gewisse Traurigkeit.
Aber mein Kopf soll nicht nur Tage zählen und sich Fakten überlegen, nein, meine Gedanken schweifen weiter:
Was liegt noch alles vor uns? Es gibt noch zwei Schiffsübergaben, man hat noch zwei „normale“ und einen „kleinen“ Landaufenthalt. Es liegen vor uns noch viele schöne Tage auf See. Was wir dort nicht noch alles erleben werden? Werden wir jeden Tag aufstehen und gut gelaunt in den neuen Tag starten, oder wird es auch Tage geben, an denen man am liebsten nur im Bett liegen bleiben würde. Wird einer dieser Tage demnächst kommen, wenn wir wieder zu See fahren und man erneut seekrank wird? Werden uns die letzten Tage auf See noch arg verändern. Wie wird die Ankunft in Kiel sein?
Meine Gedanken würden noch weiter schweifen, doch dann höre ich einen meiner Kameraden sagen: “Markus, Backschaft.“
Ja, das hatte ich am Anfang vergessen zu erwähnen. Ich gehörte heute auch zu den Leuten, die tatsächlich viel zu tun haben (Jojo und Cosima erstellten als Projektleistungsassistentinnen mit Christian die Etappenpläne) und ich durfte für die Mannschaft kochen. Zum Glück konnten wir uns die Zeit in unsere Schülerbackschaft aber so einteilen, dass ich mich am Nachmittag noch in die Sonne legen und entspannen konnte.
Während ich mit den anderen dann am Abend wieder in der Küche stehe und koche, gehen mir die Fragen aber die Zahlen nicht mehr aus dem Kopf: Noch 62 Tage.
I’m sailing through the water, I’m sailing home again.