von Laura
Die Zeit ist ein unglaublich wertvolles Gut. Manchmal hat man das Gefühl, als wäre sie zähflüssiger Honig, doch meistens rinnt sie uns durch die Finger wie das Wasser eines klaren Baches.
Wir schreiben den 08.04.2017, es ist 23.46 Uhr. Diesen Blogeintrag schreibe ich während des 18 Stunden andauernden, stillen Solos auf einer kleinen Insel vor dem Hafen von Falmouth. Im Moment bin ich vollkommen alleine. Genauso wie alle anderen. Wir können uns weder sehen noch hören. Das Einzige, was wir bei uns haben, sind warme Kleidung, Schlafsack, Isomatte und ein wenig Essen, bestehend aus zwei Müsliriegeln, einem Apfel, einer Banane und einer Flasche Wasser. Wir haben nicht die Möglichkeit, uns mit Dingen, wie Büchern, Musik oder einem Taschenmesser abzulenken, sondern hatten nur die Möglichkeit, einen Stift und ein paar Bögen Papier mitzunehmen. Jeder von uns hat einen Radius von ca. fünf Metern, in dem er sich bewegen kann. Natürlich ist das Gebiet nicht abgesteckt, es basiert alles auf Vertrauen. Noch vor Beginn des Solos hatten wir uns, jeder für sich, einen Platz gesucht, an den wir nach dem offiziellen Beginn gingen. Nele las uns einen Text vor, in dem es darum ging, was man später für Geschichten erzählen könnte, wenn man mutig genug ist, seine Träume zu leben.
Wir leben im Moment einen Traum. Einen Traum, der vor knapp sechs Monaten Wirklichkeit wurde und nun vielleicht bald vorbei ist. Einen Traum, den wir alle vor über einem Jahr begonnen haben zu träumen. Einen Traum voller Emotionen, Erfahrungen, lustigen Geschichten und traurigen Momenten. Alles begann mit dieser einen Bewerbung. Seitdem ist so viel Zeit geflossen, vom Probetörn, über die Vorbereitungszeit hinweg, hin zum eigentlichen Beginn der Reise, bis zum Jetzt. Doch selbst das Jetzt geht zu schnell vorbei. Gerade eben genießt man noch die Mittagssonne auf dem Achterdeck und schon klingelt es zum Abendessen. Befanden wir uns vorhin noch auf dem „Hard Rock Hotel“ in Panama City, so klettern wir im nächsten Augenblick schon auf den Pico. So vieles geschieht innerhalb von so wenig Zeit. Meistens hat man nicht die Zeit, das alles wirklich zu realisieren oder gar zu verarbeiten. Oft stolpert man nur von Abenteuer zu Abenteuer und gibt sich größte Mühe, alles, was man sieht, riecht und schmeckt in sich aufzusaugen.
Wirklich funktionieren tut das jedoch nicht. Deswegen schreiben viele hier an Bord Tagebuch. Es gibt einem die Möglichkeit, alles aufzuschreiben, seinen Kopf klar zu kriegen und sich alles später noch einmal in Ruhe anzusehen. Doch spätestens, wenn um dich herum einmal alles ruhig wird, fängst du an nach zu denken. Meistens immer nur für ein paar Minuten, denn auf der Thor hat man selten mehr als fünf Minuten, ohne dass jemand auf dich einredet oder du zum Mithelfen aufgefordert wirst. In dieser Zeit schafft man es eigentlich nicht alles aufzuarbeiten. Doch was passiert, wenn man einmal nicht nur ein paar wenige Minuten hat, sondern ein paar Stunden? 18 um genau zu sein. Ich kann es euch sagen, denn ich mache diese Erfahrung gerade. Alles stürmt auf euch ein. Man hat das Gefühl, als würden die Gedanken geradezu übereinander stolpern, sich gegenseitig wegschubsen und um die Vorherrschaft in deinem Kopf kämpfen.
Nicht nur die großen Ereignisse kommen wieder hoch. Nein, jede Kleinigkeit, die winzigsten Momente, jede Emotion tritt glasklar in den Vordergrund. Zum ersten Mal wurde mir tatsächlich einmal vollkommen bewusst, was ich eigentlich in den letzten Monaten erlebt habe. Ich bezweifle sogar, dass das Solo ausreichen wird, um über alles gründlich nachzudenken, aber das werde ich erst morgen früh wissen und bis dahin habe ich noch ein bisschen Zeit. Und Zeit ist sehr kostbar.