Mein Aus-FLUG nach der Wache

Kathrin

Datum: 13.04.2019
Autorin: Kathrin
Ort: New Haven

Zuerst muss ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Kathrin – hier an Bord auch „Schwester Kerstin“, „Schwester Katja“ oder einfach nur „Schwester“ genannt. Diesen Spitznamen verdiene ich mir zum Teil aus meiner beruflichen Tätigkeit an Land als Kinderkrankenschwester. Die Namensvariationen haben allerdings einen anderen Ursprung, der an Bord immer wieder für Erheiterung sorgt. In der Frequenz eines Haustürschlüssels gehört der Apothekenschlüssel zu meinem festen Gebrauchsgegenstand. Er verschafft mir Zutritt zu meiner kleinen „Hexenküche“, die unsere medizinischen Vorräte beinhaltet. Meine Ratschläge und Tipps werden mir mittlerweile schon auswendig zum Frühstück serviert und oftmals noch mit einem leichten Rollen der Augen und einem aufstöhnenden „Jaaa“ untermalt. Doch manchmal helfen auch diese nicht mehr und ich brauche Unterstützung.

Dieses Szenario trat am vergangenen Samstag ein und ich möchte es im Folgenden aus meiner Perspektive beschreiben. An dieser Stelle möge gesagt sein, dass die Ironie nur damit zu rechtfertigen ist, dass der Zustand des Patienten sehr stabil war und es sich um keine lebensbedrohliche Lage handelte.

Wie sieht die Thor von oben aus? Wie muss es sich wohl anfühlen, über dem Meer unter einem Helikopter zu hängen? Stimmen die Darstellungen aus dem Vorabendprogramm der Notfallrettung? Genau all das hab ich mich auch immer gefragt, wenn bei den „Rettungsfliegern“ die junge eingespielte Crew sich abseilt, um im letzten Moment jemanden zu retten. Gott sei Dank werde ich das nie erleben – dachte ich mir.

So stand ich morgens noch als Wachführerin auf der Brücke, als ich um medizinischen Rat gebeten wurde und alles seinen Lauf nahm. Schnell war uns klar, dass wir ärztliche Hilfe benötigten, die wir zu dem Zeitpunkt an Bord nicht hatten. Nach kurzer Beratung stand fest, dass der betroffene Schüler in ein Krankenhaus musste, und der Kontakt zur Coast Guard wurde hergestellt. Unsere Schiffsleitung versuchte nun, den Abtransport zu organisieren, während ich mich um den Patienten kümmerte. Da wir unsere Schüler in so einer Situation nicht alleine lassen, sollte ich ihn begleiten. Wann werden wir wohl abgeholt? Wie? Und wann können wir wieder an Bord? Viele Gedanken waren in meinem Kopf. Ich packte vorerst das Nötigste für ein paar Tage. Wer weiß schon, wo wir wie lange sein werden.

Ich stand noch halbfertig in der Personalkammer vorne am Bug der Thor Heyerdahl, als das Schott aufging und David sagte: „In 15 Minuten kommt der Heli!“ Ach du je! Der Helikopter. Ich rechnete mit einem Rettungsboot, das uns zum Helikopter bringen sollte in frühestens einer Stunde. Das ging jetzt aber schnell. Das Schott geht kurz darauf erneut auf und Kais Update gibt mir nur 10 Minuten bis zu unserer Abholung. Habe ich denn alles dabei für alle Fälle? Wie wird mein erster Hubschrauberflug von der Thor im Ärmelkanal sein?

Im Ölzeug am Achterdeck angekommen, hörte und sah man einen großen rot-weißen Helikopter am Himmel, der uns immer näher kam. Es wurde immer lauter und unsere Rudergängerin stand konzentriert mit Schallschutzhörern am Steuer. Mittlerweile hatten sich auch die anderen KUSis am Hauptdeck versammelt, um das Spektakel zu betrachten. Der Himmel war blau und mit vereinzelten Cumulus-Wolken geziert.

Mein Blick ging nach oben zu dem Fortbewegungsmittel, das ich besteigen sollte. Jakob steckte mir noch seine letzten englischen Pfund in die Tasche und ich hoffte, dass ich alles Wichtige in der Eile eingepackt hatte.

Der Wind braust von vorne und nachdem rasch das Besansegel ganz ausgebaumt wurde, war auch Platz für den Retter, der aus dem Helikopter zu uns kam. Er war sehr freundlich und untersuchte unseren Patienten erst noch einmal, bevor er uns mitnahm. Mit der Aussage, dass ich zuerst hoch kommen werde, war für mich klar, dass es kein Zurück mehr gab. Er packte mich in einen, man könnte sagen, Sitzsack, der sehr gemütlich war, und so saß ich auf der Backskiste auf dem Achterdeck. Mit einem Karabiner an unserem Retter festgemacht wartete ich, bis ich das Deck unter den Füßen verlieren würde.

Ein kurzer Ruck, wir berühren kurz die Reling und schon bin ich außerhalb der Thor. Unter mir Wasser, neben mir die Thor und über mir ein Hubschrauber. Ich schaue zu einem sich majestätisch und träge bewegendem Schiff mit vielen neugierigen Gesichtern, die dem Geschehen folgen. Ja, es stimmt, es ist wie im Film, es ist sogar noch viel besser.

Oben erwartete uns eine äußerst freundliche und eingespielte Crew, die uns stets sicher und mit allen nötigen Vorrichtungen versorgte und ein- bzw. umpackte. Der Flug selbst war sehr angenehm und kurzweilig und da unser Patient soweit stabil war, konnte ich kurz durchatmen. Wenn ich ehrlich bin, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht einmal, wo sie uns hinfliegen.

So kamen wir noch mit Ölzeug und Segelstiefeln in die Notaufnahme und mussten uns schnell auch bekleidungstechnisch der Zivilisation anpassen. Wie wir dann herausgefunden hatten, befanden wir uns in Dorchester und dort war es zu unserer Freude auch wärmer als an Bord. Vergessen waren in dem Moment die Wachaufgaben, und ich wurde als Krankenschwester und Begleitperson gebraucht.

Nachdem wir dort sehr gut versorgt und behandelt worden waren, konnten wir am nächsten Tag einen Crewtausch vornehmen, der mir ermöglichte, wieder an Bord zu kommen, um mit dem Schiff weiterzufahren. Die Thor wartete mittlerweile in der nächstgelegen Bucht am Anker. So fuhr ich am Sonntagmittag mit einem Taxi und guter Sonntagsmusik Richtung Küste und genoss die Aussicht. Erst langsam realisierte ich, was in der letzten Zeit passiert war und ich bin sehr froh, dass alles gut gegangen ist, sowohl medizinisch als auch technisch. Das Dinghi holte mich ab und ich hatte unglaubliche Sehnsucht, zur Bordgemeinschaft zurückzukommen. Der Anker ging auf und es war „all hands“, das bedeutete für mich, wieder als Wachführerin auf dem Achterdeck zu stehen. Also schnell raus aus der Jeans und den Landgangsklamotten und rein in die lange Unterwäsche und das Ölzeug – und dann auf zur Wache. Viele neugierige Gesichter löcherten mich und ich wusste noch gar nicht so richtig, was ich erzählen sollte. Erst in meiner Abendwache konnte ich das Geschehen so langsam sortieren und auch gedanklich meine Rolle wieder tauschen.

Ich war total froh, als ich einen Tag später mit dem Dinghi mitfahren durfte, um meinen Schützling und den begleitenden Lehrer abholen zu können. Tief durchatmen. Alles nochmal gut gegangen. Nun sind alle Beteiligten wieder fit an Bord, und wir können mit allen Crewmitgliedern weiterfahren.

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