Datum: Tag, 06.03.2020
Mittagsposition: 32° 22,7‘ N; 064° 40,8‘W
Etmal: 00 sm
Wetter: Lufttemperatur: 21° C; Wassertemperatur: 22,5°C; Wind: SW 3
Autorin: Emma
Heute Nacht lag ich zum ersten Mal auf der Thor für längere Zeit wach. Aus dem einen Grund, dass das Dasein einer Schülerkapitänin doch schon sehr aufregend ist. Als ich da so wach in meiner schwankenden Quer-Koje versuchte, nach meiner Nachtwache zu schlafen, begann ich auf die Geräusche der Thor zu achten. Da gibt es jede Menge, denen war ich mir noch nie so wirklich bewusst.
Um das breite Feld erstmal ein bisschen zu sortieren, fang ich bei den Stimmen in meiner Kammer an, die letztendlich zum Lied der Thor beitragen. Dort findet man ein Panama Autokennzeichen aus Panama-Stadt, dieses bewegt sich durch die Schwerkraft natürlich nicht mit dem Schiff mit, so angebracht an zwei Hakenmagneten schlug es folglich immer leicht gegen die Zimmerwand. Damit erfüllte es den Job, den Hi-Hats bei einem Schlagzeug erfüllen, ausgezeichnet. Mit unterstützt wurde das noch von diversen im Raum verteilten Flaschen.
Was außerdem sehr in das Schlagzeugschema hinein passt, nämlich zum Ridebecken, das sind Kisten mit Gläsern in meiner Unterkoje. Bei dem Seegang, den wir im Moment haben, besitzen diese die Vorliebe, mit der Welle hin und her zu rutschen, dabei geben sie das typische „wash“ Geräusch ab. Das ist direkt auf das „ping“ gefolgt, wenn die Kisten ruckartig zum Halt kommen und die Gläser darin gegen einander stoßen. Mit einem der Toms lässt sich unsere liebe Schlagklappe in dem Oberlicht vergleichen. Die braucht man nur bei richtig schwerem Wetter, so hängt sie zurzeit nur an ihrer Befestigung im Oberlicht herunter. Natürlich schlägt sie so bei schweren Schiffsbewegungen mit vollem Karacho gegen die Wand, das kann schon echt laut werden. Falls ihr euch wundert, woher ich so viel Ahnung von Schlagzeugen hab: Das tu ich nicht, wir haben nur zum großen Glück aller KUSis Offline Wiki auf unseren Laptops. Da enden auch schon die Geräusche, die man genau mit einem anderen Instrument identifizieren kann, das zeigt nur noch mehr, dass die Thor eine eigene kleine Welt ist.
Um auch zu den Geräuschen außerhalb meiner Koje zukommen, mach ich direkt bei unserem Ölzeug, das im Gang hängt, weiter. Wie alles andere bewegt es sich im stetigen Takt des Schiffes, der alles vorgibt. Aus diesem Takt bricht es nur aus, wenn mal die Sicherheitsronde vorbeikommt. Die kann gar nicht anders als das Ölzeug laut zu streifen. Deren Schritte bringen auch noch mal einen ganzen neuen Rhythmus mit ins Spiel. Genauso wie das laute Pumpen der Wasserpumpe für Frischwasser in der Last. Das wiederum ist um einiges schneller, im Gegensatz zu der Schrittgeschwindigkeit des schläfrigen KUSis, der dieses Mal auf Sicherheitsronde geschickt wurde.
In der Last wartet eine ganz neue Aufgabe auf den Wachgänger, die er hoffentlich auch sieht: Gewisse Kisten oder deren Inhalt genügend fest zu laschen, der war nämlich die ganze Nacht lang schon zum vorgegeben Takt herumgepoltert. Einen fast genau stündlichen Einsatz eines Knalls von den Bänken in der Messe brachte die Sicherheitsronde auch noch mit sich. Sie musste ja noch die Bilge in der Bank kontrollieren. In der Messe gibt es noch viele weitere Geräuschursachen, die Tassen in ihren Fächern zum Beispiel. Was Leute in der messenahen Kammern zum Wahnsinn treiben kann, so habe ich es zumindest gehört, seien wenn Löffeln in den Tassen gelassen werden. Das hat dann ja auch nichts mehr mit Takt oder sogar Off-Beat zu tun, das ist einfach nur noch willkürliches Geplänkel.
Was überhaupt nicht störend ist, aber auch nicht im Takt bleiben will, ist das Knarzen des Großmastes, der geht nämlich einmal durch unseren Gang durch. Auch das Knarzen der Tampen an der Nagelbank gehört dazu, sowie die vereinzelten unverständlichen Rufe der Fahrwache draußen.
Was jedoch der Urheber des ganzen Schauspiels ist und unser stetiger Begleiter: das Meer. Das Rauschen der Wellen und des Windes gehört zu meinem Alltag oder es fehlt irgendwas mitten im Herz der Sinfonie. Dicht gefolgt ist das Rauschen vom Glucksen des Wassers an der Bordwand. Ab und an trifft eine gebrochene Welle mit voller Wucht gegen die Bordwand, woraufhin das Schaukeln kurzzeitig zunimmt und es sich anhört als hätte die Sinfonie ein spontanes Crescendo und eine Tempoanstieg unternommen. Bis sich das Schaukeln wieder beruhigt und alles als Eins wieder in den gewohnten Lauf zurück verfällt.
Diese stetige Melodie lullte selbst mich letztendlich in den Schlaf, nur um ein paar kurze Stunden später von der Klingel fürs Signal K, die die ruhige Sinfonie durchschnitt, aus dem Bett geschmissen zu werden. Dadurch wurde es durch das Gewusel der KUSis schier unmöglich der Melodie lauschen zu können. Kurz danach kam ein weiteres Geräusche-Instrument dazu, unsere liebe Olga, die Hauptmaschine. So richtig in einem Orchester zu fungieren, hat sie leider in ihren sehr langen Jahren noch nicht gelernt, sie hat nämlich die Vorliebe alles andere zu übertönen. Heute hatte sie das allerdings besonders schwer, denn die Kommandos zum Segelbergen für das Einlaufen in St. George’s, Bermuda, kamen trotzdem klar und deutlich. Zu Olgas Unterstützung kam ein weiterer Motor, der allerdings war von dem Boot des Lotsen, der zur doch komplizierten Einfahrt in den Hafen an Bord kam. Für die nächsten Stunden erfüllten dort im Hafen Töne klirrenden Geschirrs zum Essen, Wasser in Eimern fürs Großreinschiff und das Geräusch der Segel, als es aneinander reibt beim Packen. Schlussendlich wurde mein Dienst als Kapitänin mit einem Handschlag und Applaus beendet. Am nächsten Tag waren meine Ohren wieder vom Kratzen eines Stiftes auf Papier erfüllt, denn da hatten wir unseren ersten halben Unterrichtstag von drei auf der Atlantikinsel Bermuda.
Wenn ich dann aber abends wieder auf meinem schwimmenden Zuhause, der Thor, angekommen bin, kann ich wieder der einzigartigen Melodie lauschen. Die ist nämlich immer da, man muss nur die Ruhe und die Zeit finden, genau hinzuhören. Alle verschiedenen Töne, ergeben alles zusammen eins, die Sinfonie der Thor.