Datum: 15.10.2018
Mittagsposition: Nord-Ostsee-Kanal
Etmal: 48 sm
Wetter: Lufttemperatur: 15°C, Wassertemperatur: 16°C, Wind: SWW2
Autorin: Anna K.
14. Februar 2018
Draußen fallen sanft Schneeflocken auf den schon verschneiten Rasen in unserem Garten. Ich sitze am Laptop und schreibe mein Motivationsschreiben für das „Klassenzimmer unter Segeln“. Ein halbes Jahr weg von Daheim. Ein halbes Jahr weg von meinen Eltern und meinen Freunden. Ein halbes Jahr die Welt bereisen, fremde Orte und Kulturen sehen und erleben. Ein halbes Jahr mit Menschen unterwegs sein, die man nur von einer Woche Probetörn kennen wird, die aber schon nach den ersten Tagen für jeden von uns wie eine Familie sein könnten.
Ich versuche in meinem Motivationsschreiben alles zu erwähnen, was mich an KUS begeistert und bewegt. All die Gründe, die mich dazu veranlassen, alles was ich kenne und liebe, für ein halbes Jahr aufzugeben und Neues zu wagen.
Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie es ist, im Rigg zu stehen und zu beobachten, wie die Sonne im Meer verschwindet. Die endlose Weite des Atlantiks umgibt mich und das Schiff. Nichts als Wasser und der Horizont….
14. Oktober 2018
Ich stehe tatsächlich im Rigg und versuche, das letzte halbe Jahr und besonders die vergangenen Stunden im Schnelldurchlauf Revue passieren zu lassen.
Vor den Osterferien erhielt ich die Einladung zum Probetörn und in der zweiten Woche der bayerischen Pfingstferien habe ich an der Schlei 50 Gleichaltrige kennengelernt, die alle den gleichen Traum und das gleiche Ziel hatten: Ein halbes Jahr auf der Thor Heyerdahl verbringen zu dürfen.
Zwei Wochen danach kam per Post die Zusage zum großen Törn und damit auch die Gewissheit, dass ich von Oktober bis April ein Leben führen werde, das ich mit meinem Leben an Land in keinster Weise vergleichen kann. Letzte Woche habe ich mich von meinen Freunden und dem Großteil meiner Familie verabschiedet und am Dienstag ging es mit dem Bus nach Kiel zur Werftzeit.
Der Abschied heute begann um 10.00 Uhr und nach einem kurzen, selbstgeschriebenen Lied von Leo hielten sowohl Ruth und ein Vertreter von Alumni-KUS, dem Ehemaligen- und Förderverein des „Klassenzimmer unter Segeln“, als auch Vivi und Robin als Vertreter des aktuellen KUS-Jahrgangs eine kurze Rede. Die Highlights der Verabschiedung waren ganz klar zwei musikalische Beiträge unserer Eltern, die zwei umgedichtete Seemannslieder zum Besten gaben.
Um 10.50 bekamen wir alle noch einmal die Möglichkeit, an Land zu gehen und uns ein letztes Mal von unseren Eltern zu verabschieden. Um Punkt 11.00 Uhr ertönte das Typhon, das Zeichen für uns, unser Leben an Land hinter uns zu lassen und ein neues Leben an Bord der „Thor Heyerdahl“ zu führen.
Zum Auslaufen sind nicht nur unsere Familien, sondern auch zahlreiche ehemalige KUS-Schüler gekommen, die uns während des Auslaufens geholfen haben, alle Segel zu setzen, damit wir mit Vollzeug aus der Schwentine auslaufen konnten.
Am späten Nachmittag haben wir in Heikendorf, kurz vor dem Nord-Ostsee-Kanal, geankert, um hier die Nacht zu verbringen. Morgen wollen wir uns durch den Kanal auf den Weg zur Nordsee und damit auch zum Etappenziel Teneriffa machen.
Im Laufe des Nachmittags haben wir von Vera eine Einführung in die Benutzung des Klettergurtes bekommen. Anschließend durften wir uns in unseren Wachen das erste Mal auf ins Rigg machen…
Und jetzt stehe ich auf der Plattform des Großmastes, der in den Aufgabenbereich meiner Wache fällt, und versuche den Moment in mich aufzusaugen.
Ich beobachte, wie die Sonne immer weiter Richtung Horizont wandert und alles um mich herum in weiches, warmes Abendlicht getaucht wird. Trotz meiner Anstrengung, im Hier und Jetzt zu sein und den Augenblick zu genießen, wandern meine Gedanken in die Zukunft….
5. Dezember 2018
Ich stehe in kurzer Hose und T-Shirt im Rigg und versuche mit einigen anderen, das Großtop- Segel hafenfein zu packen. Hinter uns liegt die erste Etappe von Kiel bis Teneriffa, die vor allem durch Seekrankheit und viele neue Segelbegriffe geprägt war. Der Landaufenthalt auf Teneriffa inklusive des atemberaubenden Sonnenaufgangs auf dem Pico del Teide liegen hinter uns. In den letzten drei Wochen haben wir den Atlantik mit dem Passatwind überquert und befinden uns nun kurz vor Grenada. Der Blick aus fast 30 Metern Höhe auf das karibisch blaue Wasser und die weißen Sandstrände entschädigt alle Anstrengung, die die Atlantiküberquerung, der Unterricht und das Heimweh, das seit der Verabschiedung in Kiel immer wieder bei vielen KUSis aufgekeimt ist, mit sich gebracht haben. Das Abschiednehmen vor zwei Monaten war für uns alle hart, aber notwendig, um aufzubrechen und neue Sachen zu erleben. Inzwischen bin ich wirklich froh gegangen zu sein, weil ich sonst in den letzten Monaten nicht das Leben hätte führen können, das ich führen durfte.
Bei diesem Gedanken beginne ich über das ganze Gesicht zu grinsen und bin einfach nur dankbar und glücklich.