Datum: 11.04.2019
Mittagsposition: Falmouth
Wetter: Lufttemperatur: 10 °C, Wassertemperatur: 11 °C
Autor: Titus
Gestern kamen wir nach einer kräftezehrenden Überfahrt in Falmouth an. Nach Sturm, Kälte und Nässe, sehr starkem Geschaukel und fast durchgehend laufendem Motoren Dank Gegenwind. Insgesamt ein Kampf um in den nächsten Hafen zu kommen, so war die Freude groß, zu unserem allerersten Stopp der Reise zurückzukehren: die selbe Mooringtonne, dieselben Wimpel in den in Erinnerung gebliebenen Straßen und in den (vor allem nach der Karibik) luxuriösen Hafentoiletten so lange warm duschen wie man wollte.
Insbesondere dieses Wiedersehen mit unserer lieb gewonnenen Stadt deutete mit Nachdruck auf das immer näher rückende Ende. Immer öfter denkt man sich: War das jetzt das letzte Mal Segel packen? Werden wir noch einmal Delfine sehen? Die letzten sechs Monate vergingen wie im Flug. Erfahrungen und Erlebnisse kamen Schlag auf Schlag, selten bot sich Zeit sie zu verarbeiten, sich in Erinnerung zu rufen, wo man war, wo man ist, was geschah und was gerade geschieht, mit den Gedanken, wo man sein wird und was dann geschehen wird. Die kommende Schiffsübergabe würde jedes zum Nachdenken geeignete Zeitfenster minimieren oder füllen, wir wären plötzlich in Kiel, plötzlich daheim und plötzlich wäre unser Zuhause des letzten halben Jahres und die schon alltäglich gewordenen Gesichter unerreichbar fern. Deshalb nahmen wir uns den Tag in Falmouth zur Reflexion, um die letzten sechs Monate zu verarbeiten und gedanklich mit ihnen abzuschließen.
Der Vormittag begann mit Zeit für sich, für uns alle. Wir hatte die Wahl zwischen einem 5- und einem 8-stündigen Solo, alleine im Wald. Nach sechs Monaten Geselligkeit ist es unglaublich befriedigend, etwas Einsamkeit zu genießen. Wir durften uns in einem, schon fast heimisch scheinenden, Waldgebiet ausbreiten. Dick gepolstert in Skiunterwäsche und Ölzeug gegen englische Temperaturen gewappnet setzten sich manche auf die Wiese, andere unter einen Baum, andere auf einen Baum. Die Stunden vergingen wie im Flug und für viele viel zu früh ertönte das Typhon und kündigte die Rückkehr auf die Thor an. Der Stamm hatte sich für den Nachmittag mehrere Optionen überlegt, um die Reise Revue zu passieren. Den Abschluss der Reflexion, vielleicht auch der Reise, machten fast 50 Enden des Satzes:
„Unsere Reise bedeutet für mich…“
Nach einer halben Stunde Bedenkzeit zur persönlichen Fertigstellung des Satzes (um wirklich alles zusammenzufassen, ist dies doch ganz schön knapp) versammelten wir uns in der Messe. Einer machte den Anfang, erst zögerlich, doch bald pausenlos aufeinander folgend, teilte jeder sein letztes halbes Jahr mit seinen Reisegefährten:
…eine Achterbahnfahrt; …Freundschaft; …Musik; …die Welt ein bisschen besser verstehen lernen; …viel gemeinsames Lachen; …Wertschätzung; …Veränderung; …Neues; …Lernen; …Freiheit; …Wege zu finden und diese in Taten umzusetzen; …viel Arbeit, die ich meistens gar nicht als Arbeit empfinde; …eine gut gelaschte Grundlage für ein Leben, wo auch immer mich Wind und Wellen hinverschlagen; …sich auf ein Abenteuer einzulassen.
Ich persönlich hatte am Ende einen Satz, der nur ein Bruchstück meiner „Bedeutung“ war. Die wahre Bedeutung würde noch wesentlich mehr beinhalten. Ich schaffte es nicht in der Zeit und weiß auch nicht, ob ich es überhaupt schaffen würde, sie in Worte zu fassen, geschweige denn in einen Satz zu komprimieren.
Viele Gefühle, viele Ansichten, verschiedene Menschen und eine Reise: unsere Reise!