Datum: 15.04.2019
Autorin: Theresa
12.00 Uhr an Bord der Thor Heyerdahl: Das tiefe Brummen des Typhons ertönt vom Achterdeck und lässt das Bordleben der Thor für fünf Sekunden durch das unüberhörbare Geräusch innehalten. Darauf erklingen vier helle Doppelschläge einer Glocke von der Back aus. Doch woher genau kommen denn diese Doppelschläge und was genau haben sie zu bedeuten?
Die hellen Töne stammen von einer Glocke, die ihren Standpunkt auf dem Vorschiff hat. Bei dieser, aus Messing hergestellten, Glocke handelt es sich um die Schiffsglocke der „Thor Heyerdahl“. Eine Schiffsglocke ist Bestandteil eines jeden Schiffes und wird zu unterschiedlichen Traditionen genutzt. Ihre Farbe hängt sehr von der Gründlichkeit der Wache ab, die die Reinschiffstation „Deck“ in dieser Woche bearbeiten muss. So gibt es Tage, da glänzt sie gülden in den Sonnenstrahlen der Mittagssonne, aber auch Tage, da schreit sie nach dem altbekannten Poliboy. Die Größe dieser Glocke entspricht ungefähr der Größe eines Kopfes und sie ist beschriftet mit dem Aufzug „S.S. Thor Heyerdahl 1981“ („S.S.“ steht für Segelschiff, 1981 ist das Gründungsjahr). Sie ist ein wichtiger Bestandteil der Thor und des Bordalltags und wird jeden Tag, der auf hoher See verbracht wird, benutzt. Bei der Verwendung handelt es sich laut dem blauen „Begleitheft zur Ausbildung auf dem Dreimast-Segelschiff Thor Heyerdahl“ um eine alte Seefahrttradition, die sich „Glasen“ nennt.
Da früher die Zeit an Bord mit einer Sanduhr gemessen wurde, wurde nach jeder Umdrehung der Sanduhr (1⁄2 Stunde) mit einem Schlag geglast, nach einer Stunde mit einem Doppelschlag usw., bis dann letztendlich nach vier Stunden mit vier Doppelschlägen geglast wurde, um den Wachwechsel eines 3-Wach-Systems zu signalisieren. Das ganze Prozedere ging nach dem Wachwechsel wieder von neuem los. Allerdings wurde von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends zu Beginn der Schiffsruhe geglast und das durfte auch nur von wachfreien Personen wie dem Bootsmann oder dem Maschinisten gemacht werden. Da mittlerweile an vielen Orten auf der Thor die Uhrzeit an einer Uhr abgelesen werden kann, wird in diesem strikten Takt nicht mehr geglast. So wird nur einmal zur Mittagszeit (um 12 Uhr) mit vier Doppelschlägen geglast, damit jeder an Bord weiß, dass es gleich Mittagessen geben wird und es nun Punkt 12.00 Uhr ist.
Doch die Schiffsglocke wird nicht nur zum Glasen benutzt. Auch bei dem Hieven oder Fallen des Ankers ist sie nicht wegzudenken, da durch Anschlagen der Glocke dem Achterdeck die Anzahl der bereits gehievten oder gefallenen Schäkel der Ankerkette mitgeteilt wird (1 Schlag = 1 Schäkel, 2 Schläge = 2
Schäkel usw.).
Nun stellt sich die Frage, ob die Tradition des Glasens auch noch auf anderen Schiffen zu finden ist. Niemand anderes als unser Maschinist Willi, der schon auf vielen Schiffen unterwegs war, kann diese Frage besser beantworten: „Auf allen Schiffen, auf denen ich bereits mitgefahren bin, waren eine, auf den meisten sogar zwei Schiffsglocken vorhanden. Wie auf der Thor auch, ist eine immer auf der Back zu finden, bei den Schiffen, die sogar zwei besitzen, eine weitere neben dem Ruder. Ebenso wurde jeden Tag geglast, allerdings in einem anderen Rhythmus als hier auf der Thor, nämlich zu jeder vollen Stunde außer nachts.“
Für das Glasen an Bord ist logischerweise die Wache 1 (11-14 Uhr) zuständig, da sie um 12 Uhr das Schiff fährt. Also wird jeden Tag kurz vor 12 Uhr ein Wachgänger der Wache 1 vom Wachprinzen oder der Wachprinzessin auf die Back geschickt, um im richtigen Takt die Doppelschläge anzuschlagen. Dies erweist sich aber als eine nicht allzu einfache Aufgabe und die meisten müssen erst ein Gefühl für den richtigen Takt entwickeln. In Ausnahmefällen muss aufgrund stürmischen Wetters auf das Glasen verzichtet werden, da die Back wegen Sicherheitsvorkehrungen „gesperrt“ ist.
Das Glasen hat hier an Bord eine große Bedeutung, doch auch im Allgemeinen ist zu sagen, dass eine Schiffsglocke ein unentbehrlicher Bestandteil eines Schiffes ist. Wenn wir an Bord der Thor Heyerdahl die hellen Töne der Schiffglocke von der Back vernehmen, kann dies nur das Ankommen oder Verlassen eines Ankerplatzes bedeuten oder, dass gleich das erwartete, gemeinsame Mittagessen stattfindet.