Ich bin ein Tampen und mein Name ist…

paulaDatum: 07.11.2014
Mittagsposition: 36°52,5′ N; 010°51,1′ W
Etmal: 150 sm
Wetter: Lufttemperatur: 19° C, Wassertemperatur: 21°C, Wind: WNW3
AutorIn: Paula

Auf der Thor kann man seit Tagen ein seltsames Phänomen beobachten: Ab dem Morgengrauen laufen Gestalten, meist mit roten Jacken und Gummistiefeln bekleidet, über das ganze Schiff. Manchmal alleine, oft aber auch in kleinen Grüppchen. Die Personen fassen alle Tampen nacheinander an und murmeln dabei leise vor sich hin. Hin und wieder verharren sie, starren ratlos vor sich hin und sehen etwas verzweifelt aus, bis das Ganze wieder losgeht. Andere wiederum scheinen während dem Überdecklaufen einen auswendig gelernten Text herunterzurasseln.
Und genau das machen wir alle gerade: Auswendiglernen! Denn ab Übermorgen heißt es: Tampencontest!

Aber fangen wir mal von vorne an, dieses Phänomen zu erklären. Für alle Nicht-Segler: An Bord der Thor gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Tampen. Mit diesen bedienen wir, bis auf einige Ausnahmen, die Segel. Es gibt also zum Beispiel einen Tampen, mit dem wir das Großsegel setzen und einen, der benutzt wird, um den Winkel des Besansegels zum Wind zu verstellen. Da wir eine Vielzahl von Segeln haben, gibt es natürlich auch umsomehr verschiedene Tampen.

Allein um die Breitfock zu bedienen, sind vierzehn nötig. Die haben dann auch noch so seltsame Namen wie Steuerbordbreitfockbrasse oder Backbordbreitfockgordinge. Wenn wir an den Segeln arbeiten, dann wird uns zum Beispiel gesagt: „Drei Leute an das Großtoppsegelfall“. Um das Kommando ausführen zu können, müsste man natürlich am Besten wissen, wo dieses ist. Aber da hängen irgendwie immer so viele Leinen rum… Da kommt unter Umständen auch anstatt des Rufes „Großtoppsegelfall besetzt und klar“ (man ist also bereit, am Tampen zu ziehen oder lose zu geben) ein „Ich finde das Fall nicht!“
Damit das nicht mehr passiert, müssen wir jetzt alle Tampen auswendig lernen – also, wo er ist und wie er heißt. Am besten weiß man dann auch noch, zu was er gut ist. Als Ansporn wird am Sonntag und Monntag der sogenannte Tampencontest ausgetragen. Das heißt, in jeder Wache geht einer nach dem anderen eine Tampenrunde. Es werden also nacheinander alle Tampen angefasst und dabei benannt. Während der Runde wird auch noch die Zeit gestoppt. Wenn man einen Fehler macht, bekommt man eine Zeitstrafe von zehn Sekunden: Also lieber erst denken und dann reden… Die Wache mit der besten Durchschnittszeit gewinnt, die meisten Schüler brauchen für die Runde zwischen fünf und zwölf Minuten.

Das Zeitstoppen dient allerdings nicht nur dazu, einen Gewinner zu ermitteln, sondern hat noch einen ganz anderen Sinn. In manchen Situationen muss nämlich alles ganz schnell gehen, man sollte also nicht erst fünf Minuten den richtigen Tampen suchen.

Nun gehen wir also während unseren Wachen und auch in unserer Freizeit mehr oder weniger oft eine Runde über Deck. Dafür Zeit zu finden ist mitunter gar nicht so einfach, wenn man Backschaft hat (das habe ich heute), mit dem Bordtagebuch dran ist (wie ich heute), Projektetreffen ist (ebenfalls heute) und man eigentlich auch irgenwann mal wieder ein bisschen schlafen will. Wenigstens spritzen die Wellen jetzt nicht mehr so übers Deck und man muss sich nicht mehr komplett ins Ölzeug einpacken, wenn man auf das Vorschiff geht.
Inzwischen haben sich zwei Gruppen oder eher „Richtungen“ ausgebildet. Die einen sind noch vollauf damit beschäftigt, alle Namen auf die Reihe zu bekommen. Währenddessen lassen andere schon die Zeit stoppen und rasseln die Bezeichnungen runter – ohne Punkt und Komma. Zudem werden sich Pläne zurechtgelegt, wie man am geschicktesten geht, um am wenigsten Zeit auf dem Weg zu verlieren. Schlecht ist natürlich auch, wenn man nach fünf stressigen Minuten wieder hinten auf dem Achterdeck ankommt und dann bemerkt, dass man vorne am Schoner den Mastgarten komplett vergessen hat…

Auch ich sollte eigentlich nochmal unbedingt üben gehen, mal sehen, ob sich dafür irgendwann mal eine halbe Stunde auftreiben lässt. So langsam weiß ich immerhin alle Tampen, bei der Schnelligkeit gibt es höchstwahrscheinlich noch Verbesserungsbedarf. Moment mal, wo war jetzt gleich der (Achtung, der heißt wirklich so!) Großstengestagschotholepunktversetzerbackbord?

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