Unser Aufenthalt in Havanna – Komische blaue Jacken

ina michaelAutoren: Michael, Ina

Ich wache auf, als die ersten Sonnenstrahlen meinen Schnabel kitzeln und strecke meine Flügel. Ich flattere zwei-, dreimal und erhebe mich in die Lüfte. Zuerst führt mich mein Weg in schwindlige Höhen, wo mir die Zweibeiner wie Ameisen vorkommen und ich einen traumhaften Blick über die Stadt Havanna habe. Mir fällt auf, dass diese Stadt aussieht wie ein Schachbrett – nur ohne schwarze und weiße Felder, stattdessen gibt es unzählige bunte Wohnblocks. Wenn ich in Richtung Hafen sehe, werden die Gebäude immer prachtvoller und schöner. Auf dieser Seite der großen Stadt, die Menschen nennen sie Habana vieja, gibt es aber auch viele alte Gebäude, bei manchen habe ich immer Angst, dass sie mir auf den Kopf krachen, wenn ich hindurchfliege.

Während ich im Sturzflug auf die Bar Floridita zuhalte, sticht mir eine Gruppe mit blauen Jacken ins Auge, die ich noch nie gesehen habe. Auf den Rücken der sonderbaren Jackenträgern ist bei allen das gleiche Zeichen und die gleiche Schrift zu erkennen. Ich verfolge sie noch eine Weile und beobachte, wie sie immer wieder in kleinen Straßenläden verschwinden und kurze Zeit später wieder herauskommen, oft auch mit Tüten. Dann bin ich einen Moment unaufmerksam und plötzlich sind alle wie vom Erdboden verschluckt, aber da die Sonne schon ziemlich tief steht, flattere ich in mein Nest und nehme mir vor, sie morgen weiter zu verfolgen.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, bemerke ich gerade noch, wie sehr, sehr viele Jacken (samt Träger) in einem Bus verschwinden. Hurtig mache ich mich auf den Weg und verfolge sie. Da das Tempo schwer mitzuhalten ist, freue ich mich, als der Bus bei einem großen, älteren Gebäude hält, das sehr wichtig aussieht. „ICAP“ steht darauf. Dort ist ein Mann, der längere Zeit auf die komisch gekleideten Leute einredet. Nach dieser Veranstaltung steigen sie wieder in den Bus ein, und da ich sie nicht verlieren will, muss ich wohl oder übel hinterherfliegen. Endlich angekommen, ruhe ich mich für ca. 2 Std. aus, bis kleinere Gruppen der Schüler, oft mit einem runden, rot-weißem Gebäck in der Hand, zurückkommen. Nachdem sie wieder ca. 30min mit dem Bus gefahren sind, steigen sie vor der Catedrá Humboldt wieder aus. Dort wird ihnen ein Film über die Schule und Kuba gezeigt, es folgt langes Getuschel mit den Studenten aus meiner Stadt. Nach so viel Spionage muss ich dringend ins Nest und das Letzte, was ich sehe, sind einige Blaujacken, die noch fröhlich zusammen durch die wunderschöne nächtliche Stadt streifen. Am nächsten Tag habe ich sie irgendwie am Morgen verpasst, ich sehe sie dann noch nachmittags, wie sie mit den Studenten in kleinen Grüppchen quer durch die Stadt laufen. Tags drauf, nach meinem allmorgendlichen Gefiederputz besuche ich meinen Freund Gustav, der am Kapitol wohnt. Dort treffe ich schon wieder meine Lieblingsmenschengruppe, komischerweise haben sie jede Menge Klopapier dabei. Aber als sie weiter durch die Stadt laufen und die bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Altstadt besichtigen, wird mir schließlich kurz vor dem Museo de la Revolución klar, was es mit dem Toilettenartikel auf sich hat: sie schnäuzen sich damit! Bei ihnen geht der Schnupfen um! Sie verlassen das Museum und verteilen sich wieder in der Stadt, bevorzugt auch in den kleinen Läden, in denen man zahlreiche Souvenirs kaufen kann.

Bevor ich dann am Abend müde ins Bett falle, bringt mir die Brieftaube noch einen Eilbrief von meiner Tante Gerda, die in Cojimar wohnt und ein großer Fan des Schriftstellers Ernest Hemingway ist. Auch meine Tante hat die Blaujacken gesehen, an dem Vormittag, an dem ich sie nicht gefunden habe. Da waren sie nämlich bei der Büste Hemingways in Cojimar und haben auch sein Haus dort in der Nähe besucht. Eine Blaujacke wusste laut meiner Tante besonders viel über den Autor und sein bekanntestes Buch: „Der alte Mann und das Meer“, und sie hätte den anderen Schülern das auch mitgeteilt. Gegen Mittag sei der Spuk dann aber auch schon vorbei gewesen.

Am nächsten Morgen sehe ich sie alle mit großen Rucksäcken bewaffnet in den Bus einsteigen. Ich will ihm hinterherfliegen, doch leider ist er zu schnell und ich verliere ihn. Die Leute sind verschwunden, der Spuk ist vorbei. Nach so viel Spionage freue ich mich auf eine Pause, aber ich finde es auch schade, dass ich sie wahrscheinlich nicht mehr sehen werde. Viel Glück und gute Reise, ihr komischen Blaujacken!

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