Von freien Walen und gefesselten Besuchern

schueler.uriDatum: Donnerstag, der 24.03.2015
Mittagsposition: 38° 32,0′ N; 028° 37,5′ W
Etmal: 0 sm
Wetter: Lufttemperatur: 14,5° C, Wassertemperatur: 15,5°C, Wind: SW 1
Autor: Uri

Ich stehe gerade auf einem Hügel südlich von Horta, gewissermaßen einem Vulkan. Neben mir befindet sich eine weiße Kapelle. Langsam schweift mein Blick von den Weiten des Meeres ab in die Stadt. Gestern ist ein neues, deutsches Schiff neben dem bereits am Hafen liegenden, niederländischen Dreimaster, der „Regina Maris“, eingelaufen. Es heißt „Thor Heyerdahl“ und seit dessen Ankunft wuseln ständig Jugendliche mit roten (auch vereinzelt gelben) Öljacken durch die Stadt. Mein Informant teilte mir heute Morgen mit, sie brächen erst nach ihrem Projektetreffen und dem Verspeisen ihres Mittagessens, um 13:30 Uhr auf. Bis dahin würde ich mich meinen täglichen Aufgaben zur Instandhaltung der Kapelle widmen. Dort arbeite ich schon seit Jahren und sorge dafür, dass diese gut erhalten bleibt. Meist ist es recht einsam hier oben, doch ab und zu kommen ein paar Menschen vorbei, wie beispielsweise heute Morgen, als etwa ein halbes Dutzend Jugendliche der Thor Heyerdahl ihr sogenanntes „Run & Dip“ veranstalteten.
Um besagte Uhrzeit begebe ich mich wieder auf meinen Aussichtspunkt und beobachte, wie sich nach und nach immer mehr Öljacken-Figuren auf der Pier sammeln. Nach kurzer Zeit begeben sich diese auch schon auf den Weg zum Strand von Porto Pim, wo sie erst ein wenig den schwarzen Vulkansandstrand durchforsten. Das weckt meine Neugier: Ich krame mein Fernglas heraus und beobachte, wie ein Junge mit rotem Pullover versucht, ein glibberiges, quallenähnliches Gebilde in ein Marmeladenglas zu befördern. Alle, bis auf den Jungen und ein paar weitere Jugendliche haben sich nun hingesetzt. Der Junge im roten Pulli, hin und wieder auf sein Marmeladenglas oder auf die anderen Jugendlichen, die Plakate oder Bücher halten, zeigend und in der Luft gestikulierend, beginnt, seinem vom Thema gefesselten Publikum etwas zu erzählen, wodurch ich darauf schließe, dass dieser ein Referat über Quallen hält. Jetzt, nach einer halben Stunde ist er endlich fertig, mir wurde schon langsam beim Zuschauen von hier oben langweilig. Motiviert laufen die Öljacken wieder los, dieses Mal an der Straße lang und ein wenig den Berg hinauf, bis sie schließlich auf ein kleines, altes Amphitheater stoßen. Dort halten sie schon wieder, ein blonder Junge stellt sich vor die Gruppe und beginnt, etwas zu erzählen. Ich kenne das Amphitheater. Es erinnert mich an meine alten Zeiten, als ich dort noch nach Walen Ausschau hielt. Es ist schon immer mein Lieblingsort gewesen, dank seiner phänomenalen Aussicht, vor einem ragt dort der Pico in die Höhe und auf zehn Uhr sieht man das ruhige Horta vor sich liegen. Da sich die Jugendlichen jetzt deutlich näher an der Kapelle befinden, kann ich  die Aufschrift des Buches, aus dem zum Thema passende Bilder gezeigt werden, lesen. Sie lautet „Geschichte des Walfangs“ wodurch ich auf das Thema seines zehnminütigen Vortrags schließe. Nach dem Vortrag gehen sie zusammen wieder die Straße runter zum Walfangmuseum. Das Museum, das früher einmal eine Fabrikhalle zur Weiterverarbeitung der Wale war, ist zwar meiner Meinung nach recht interessant, jedoch nichts für schwache Gemüter, weshalb meine Verwunderung darüber, dass die Gruppe eine ganze Stunde darin aushält, recht groß ist. Eines Tages besuchte ich dieses Museum mit einigen alten Schulfreunden. Der Guide zeigte uns zuerst einen alten Film über den Walfang, in dem alles, das heißt auch bis zur Verarbeitung der Beute, ziemlich genau gezeigt wird, was mir damals wirklich den Appetit auf mein Mittagessen verdarb. Danach konnten wir uns noch etliche Verarbeitungsmaschinen genauer anschauen.
Ich mache eine gemütliche Pause und trinke meinen Kaffee, schaue eine Zeit lang auf das Meer, erinnere mich an meine Jugend. Als ich meinen Blick wieder zurück auf das Museum wende, strömen nach und nach immer mehr Jugendliche heraus. Sie sammeln sich zügig und binnen kurzer Zeit hat sich die große Gruppe, in der ich 34 Jugendliche und einen Erwachsenen zähle, auf. In kleinen Gruppen erkunden diese die kleine Stadt, manche kehren zum Schiff zurück, andere gehen zum Beispiel zum „Peter Café Sport“, einem alten Seglercafé, in dem man immer wieder interessante Leute trifft und der (meiner Meinung nach) den besten Schokoladenkuchen der ganzen Stadt zu bieten hat. Ich schaue auf meine Uhr. Verdammt! Schon 18 Uhr. Ich habe nur wenig von meinen Arbeiten, die ich mir vorgenommen hatte, erfüllt. Naja, dann eben morgen oder dann, wenn diese ganzen Schiffe nicht mehr hier sind, um mich abzulenken.

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