Ein ganz „normaler“ Tag auf See

sorayaDatum: Montag, 27.10.2014
Mittagsposition: 50° 25,4′ N 001°11,1 W
Etmal: 128
Wetter: Lufttemperatur: 17° C, Wassertemperatur: 15°C, Wind: SSW4
Autorin: Soraya

„Soraya! Soraya!“ höre ich eine entfernte Stimme flüstern und sträube mich innerlich dagegen ,meine Augen zu öffnen. „Soraya!“, ertönt es wieder und ich werde endgültig aus meinem schönen Traum gerissen. „Guten Morgen! Es ist vier Uhr dreißig und du hast in einer halben Stunde Wache!“, wird mir daraufhin von Samuel mitgeteilt. „Was trinken die Engländer am liebsten?“- „Warmes Bier“, (war da nicht was bei Asterix und Obelix?) murmle ich verschlafen. Anscheinend war das nicht die Antwort, die von mir erwartet wurde und ich werde korrigiert, dass es der Schwarze Tee sei. Da ich offensichtlich nicht wirklich wach bin, geht das Frage-Antwort-Spiel weiter. „Was ist das Lieblingsessen der Engländer?“, ich überlege einen Moment und antworte darauf „Fish and Chips“. „Geht doch, du bist wach!“, bekomme ich nur noch zu hören. Ich will ihm noch nachflüstern, wie das Wetter heute morgen ist, aber da ist er schon weg. Was soll’s! Morgens um fünf Uhr wird es wohl noch nicht allzu warm sein! Am Anfang vergisst man eben manchmal noch etwas beim Wecken.
Ich beschreibe einmal kurz, wie man andere richtig weckt:
Zuerst sollte man darauf achten, nicht allzu laut zu sein, um die restliche Kammer nicht zu wecken. Dann ist es auch vorteilhaft, wenn man die Richtigen weckt und nicht 30 mal in derselben Koje den falschen Namen sagt. Für diesen Zweck gibt es auch einen Weckplan „to go“ mit Kammerbelegung (allerdings gibt es dort auch einen Tippfehler; zwei Jungs schlafen da angeblich im gleichen Bett…), damit man immer weiß, wer wo schläft. Auch Wetterinformationen sind hilfreich beim Ankleiden. Man kann jemanden also auch ziemlich ärgern, wenn man ihm erzählt, es wäre draußen 27° C warm und die Sonne schiene. Solang man noch richtig müde ist, vergisst man da leicht, dass wir noch im Englischen Kanal sind. Des Weiteren darf man die zu weckende Person nicht schütteln oder ihr die Decke wegziehen, da sich bei einer Kojenhöhe von ca. 60 cm ein schreckhafter Mensch schnell mal den Kopf anstößt.
Nachdem ich nun also geweckt wurde und aufgestanden bin, fängt die Fahrwache an. Die Wache war eine ganz „normale“ Fahrwache wie sonst auch. Sterne waren in der Früh (um 5 Uhr) leider nicht mehr zu sehen, dafür hatten wir etwas Segel-Action; wir haben den Außen- und Innenklüver gesetzt. Von der Segel-Action bekomme ich erst bei der Wachbesprechung mit, so verpeilt und müde wie ich bin.
Nach dem leckeren Frühstück, das unsere wundervolle Backschaft für uns gezaubert hat, setze ich mich mit Max und Berny zusammen und jeder von uns packt seine Musiknoten aus. Zuerst singen wir nur und unterhalten die anderen mit unseren wundersamen Gesängen, dann kommt eine Gitarre dazu und ich spiele in einer Endlosschleife in verschiedenen Variationen „The House of the Rising Sun“ und versuche den anderen gleichzeitig die Melodie beizubringen, was relativ gut funktioniert. Kurz vor „Kaffee und Kuchen“ holt Berny dann noch sein Keyboard raus. Man hat das Gefühl bei einem Schwätzchen mit Freunden in einem kleinen Café zu sitzen, während irgendwer am Klavier hockt und ein paar Lieder klimpert. Allerdings bleibt dieses Gefühl nicht allzu lange bestehen, da wir noch Reinschiff machen müssen und die Sanitäranlagen schon sehnsüchtig auf eine Stunde gemeinsam mit Wache 3 warten. Nachdem auch diese tägliche Hürde bewältigt ist, treffe ich mich zusammen mit dem Rest der Wache zur Freiarbeit an Deck. Heute erklärt uns Hennes die Segelkurse, also in welchen Verhältnissen zum Wind man segeln kann. Mittlerweile ist es wieder Zeit für die Fahrwache, aber im Gegensatz zu heute morgen haben wir jetzt das Glück, Sterne zu sehen.
Daher bleibe ich mit Lorenz an Deck und er erklärt mir den Sternenhimmel. Er zeigt mir das Himmels-W, auch Cassiopeia genannt, den kleinen Wagen und den Polarstern und ich muss an einen Auszug aus einem meiner Lieblingsbücher denken: „Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können!“ (Der kleine Prinz)

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