Der letzte Tag an Bord

aurelieDatum: 24.04.2015
Autorin: Aurélie
Tik. Tak. Tik. Tak. Dieses eine Geräusch geht uns allen nicht mehr aus dem Sinn.
Es beschäftigt uns, ununterbrochen, auch wenn wir zwanghaft versuchen, es zu vergessen.
Manchmal gelingt es uns, es für ein paar Stunden zu verdrängen, wenn wir gerade sehr beschäftigt sind und keine Zeit haben, melancholisch zu werden. Zeit. Das ist es, was uns fehlt. Wie konnten diese sechseinhalb Monate, die uns wie eine Ewigkeit vorkommen sollten, so schnell vergehen?

Erlebt haben wir so viel, wie manch andere in vier Jahren nicht, und dennoch: Als wir gestern in der Heikendorfer Reede angekommen sind, war es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Wie bereits 188 Tage zuvor saß ich wieder auf dem Deckshaus und habe das stille Meer tausender Lichter genossen. Ich sah in die Gesichter von Lars und Katha, die mit mir diesen wundervollen Abend genossen, und musste mir eingestehen: Alles und nichts hat sich verändert.
Als wir in unser großes Abenteuer gestartet sind, waren wir halbe Kinder. Ich wage es nicht zu behaupten, nun wären wir zu Erwachsenen herangereift, das wäre wohl zu übermütig, aber den entschiedenen Schritt in diese Richtung haben wir vermutlich alle gemacht.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass wir mit einigen Situationen ganz anders umgehen, als wir das höchstwahrscheinlich noch zu Beginn der Reise gemacht hätten. Von Anfang an war mir klar, dass das Heimkehren vermutlich schwieriger wird als das Auslaufen. Und wirklich: Es ist verdammt schwer. In unser kleinen, endlichen Ewigkeit haben wir gemeinsam so viel erlebt, empfunden, gelernt, gelacht und… ja, auch geweint. Und das jetzt einfach so aufgeben? Verbundenheit wäre wohl der Begriff, der uns momentan am besten beschreibt. In den letzten Tagen werden hier an Bord unseres zweiten Zuhauses die Stunden bis zum Schlafengehen immer auf ein Maximum hinausgezögert, um die verbleibenden Momente noch mit den Menschen zu verbringen, die einem etwas bedeuten.

Heute auf dem Programm: Auszug, Groß-Groß-Reinschiff und Captain’s Dinner. Beim Ausziehen herrscht eine komische Stimmung. Natürlich freuen wir uns alle auf unsere Familien und Freunde daheim, aber ein mulmiges Gefühl ist es dennoch, Stück für Stück die auf der Reise gekauften Souvenirs in die Tiefen des Seesackes zu versenken. Doch anstatt in bedrückendes Schweigen zu verfallen, leben wir alle noch mal voll auf. Auf dem Gang schallt mir Musik entgegen, ständig laufen mir Schüler über den Weg, die keuchend ihren Rucksack den Niedergang herauf zur Ladeluke schleppen, und die Backschaft läuft auf Hochtouren. Ihr Ziel: Das Captain’s Dinner. Alle putzen sich für den letzten gemeinsamen Abend heraus, es wird dekoriert, und das Wichtigste: Hanna gibt uns grünes Licht, um die verbliebenen Leckereien, von denen wir noch viel zu viele haben, in ein Festmahl zu verpacken.

Wir möchten schlicht und einfach die letzten gemeinsamen Stunden genießen und der Reise einen würdevollen Abschluss gewähren. Keiner von uns möchte diese Zeit als beendet betrachten, und wenn man Tobias‘ Worten Glauben schenken mag, dann ist sie das auch nicht: „KUS ist erst der Anfang.“
Der Anfang von etwas, wovon wir noch keine Ahnung haben und noch keinen Einblick. Aber heute Abend vergessen wir all das und machen uns darüber noch keine Gedanken, geweint wird erst, wenn es wirklich an der Zeit ist, Abschied zu nehmen. Abschied auf Zeit. Und sollten wir es schaffen, jeden gemeinsamen Moment bis dahin zu genießen, dann darf die Zeit gerne weiter laufen.
Tik. Tak. Tik. Tak.

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