Während von Spekulatius geträumt wird…

schueler.lara.docxDatum: Sonntag, der 25.10.2015
Mittagsposition: 54° 19,0764′ N; 10° 08,6392 E
Etmal: 0 sm
Wetter: Lufttemperatur: 12° C, Wassertemperatur: 13°C, Wind: ESE5
Autorin: Lara

Es ist 00:32 Uhr nach neuer Zeit. Manche Uhr zeigt aber noch 01:32 an. Heute, am 25. Oktober, dem Tag an dem ich Tagebuch schreiben soll, haben wir nämlich eine Stunde mehr, also einen 25-Stunden-Tag. Wie so eine zusätzliche Stunde an Bord genutzt wird? Natürlich mit einer Stunde Extra-Schlaf für übermüdete KUSis. Und so liegen jetzt alle selig in ihren Betten und träumen wahrscheinlich von Schokoladenkuchen und Spekulatius oder so etwas in der Art. Alle außer Moritz und mir. Denn, damit alle hier an Bord in Ruhe ihren Essensträumen nachgehen können, müssen ein paar für eineinhalb Stunden Hafenwache gehen. Und das in etwa jede zweite Nacht.

Die Hauptaufgabe einer Hafenwache besteht darin, zu überprüfen, dass niemand Fremdes das Schiff betritt. (Information am Rande: Wir liegen in einem Hochsicherheitstrakt der HDW und werden rund um die Uhr von Kameras überwacht. Es würde also an ein Wunder grenzen, überhaupt ZUM Schiff zu gelangen. Schließlich liegen in den benachbarten Docks U-Boote in der Werft, weshalb wir auch so streng bewacht werden.) Also sitzen jeweils zwei Schüler an Deck, starren bibbernd in die Kieler Förde und wärmen dabei ihre Hände am Tee, welcher hier an Bord zum Hauptnahrungsmittel aufgestiegen ist. Ich glaube nicht einmal im Buckingham Palace wird davon täglich so viel getrunken wie hier an Bord. Alleine der Fakt, dass eine Packung Rooibusch-Vanille-Tee nach weniger als fünf Minuten nur noch eine bunte Pappschachtel ist, demonstriert –  denke ich – ganz gut unseren Teekonsum. Ich möchte gar nicht daran denken, was passiert, wenn uns mal der Tee ausgehen sollte.
Aber jetzt bin ich wieder abgeschweift. Jedenfalls sitze ich jetzt hier und kämpfe eher schlecht als recht gegen die Müdigkeit an. Moritz und ich haben zwar versucht, uns zu unterhalten, allerdings war die Antwort auf jede zweite Frage: „Ich bin müde!“ Das lief in etwa so ab:
„Kannst du lesen, was dahinten auf dem blauen Schild steht?“
„Ich bin müde!“
„Okay. Mir ist kalt. Kommst du mit einen Tee kochen?“
„Nee, ich bin zu müde!“
Die einzige Rettung in diesem Kampf sind die Sicherheitsronden, die wir stündlich gehen müssen. (Ich bin zwar müde, aber nicht so müde, dass ich Runden mit „o“ schreibe. Allerdings nennt man das auf Schiffen wirklich Ronden, weil Seefahrtsbegriffe meistens norddeutschen Ursprungs sind und deshalb vom Hochdeutschen abweichen.) Auch die Gänge in den (WARMEN!!!) Naviraum, um das Wetter einzutragen oder kleine Wanderungen durch die Kammer, wenn man endlich die aufziehende, einen ablösende Wache wecken darf, verhindern, dass man wegdöst, oder zumindest wird der Kurzschlaf um fünf Minuten aufgeschoben. Aber das dauert noch, bis ich wieder „Guten Morgen es ist 01.40 Uhr und du hast in 20 Minuten Wache“ sagen kann. Das Wecken der anderen ist definitiv das Highlight jeder Hafenwache. Zum einen aus Gründen der Schadenfreude und zum anderen, weil wir immer kontrollieren sollen, ob die Person auch wirklich wach ist. Hierbei gibt es verschiedene Praktiken. Am besten bewährt haben sich allerdings Flachwitze und dumme Fragen. Denn mal ehrlich, wer möchte nicht mit Fragen wie ,Ein rosaroter Schlumpf geht in den Garten, welche Farbe hat er?‘ geweckt werden? Wahrscheinlich fragt ihr euch jetzt, was die Frage soll. Schließlich ist die Antwort mehr als offensichtlich. Sollte man zumindest meinen, nicht war liebe Sophie? Genau! Der rosarote Schlumpf ist eben NICHT blau!
Während ich jetzt also hier sitze und bereue, mich gegen die Skiwäsche entschieden zu haben, versuche ich, mich auf den bevorstehenden Tag zu freuen. Sonntag! Das bedeutet ausschlafen. Sonntagsfrühstück. Das heißt Obstsalat mit Ananas und Nutella und Erdnussbutter gibt es auch. Freilauf (Unser Wort für Landgang). Endlich wieder geradeaus laufen. Laboe. Lecker Fischbrötchen.

Und so war der Tag tatsächlich …

Nachdem das Frühstück um 9:00 Uhr tatsächlich gehalten hat, was es versprach, hieß es noch kurz Reinschiff und dann trafen wir uns auch schon an der Gangway. Im Gänsemarsch liefen wir zur Bushaltestelle, um mit dem Bus nach Laboe zu gelangen. Die Fahrt nutzte ich wie die meisten um noch kurz mit unseren Eltern zu telefonieren und in meinem Fall zum Geburtstag zu gratulieren. In Laboe angekommen, wurde uns kurz der Hafen und das Restaurant für besagte Fischbrötchen gezeigt, bevor wir weiter zum meeresbiologischem Institut spazierten. Dort lernten wir, wie das hiesige Brackwasser das Leben der Süß- und Salzwasser Tiere beeinflusst und, dass sie deshalb zum Beispiel kleiner, farbloser und weniger giftig sind, als ihre Artgenossen aus der Nordsee. Danach stand es uns frei, ob wir Laboe noch auf eigene Faust erkunden, ein U-Boot aus dem zweiten Weltkrieg besichtigen oder uns im Schwimmbad noch ein wenig austoben wollten. Ich entschied mich für letzteres, da ich mittlerweile ziemlich durchgefroren war.  Aber auch wenn das Schwimmbad eher unspektakulär war und ich danach noch mehr fror als zuvor, hatten wir doch im Babybecken sehr viel Spaß. Besonders, als ein kleiner Junge meinte, uns nass spritzen zu müssen. Dann um 16:00 Uhr hatte Frank noch eine Überraschung für uns. Während er mit uns planschen war, hatte Nadine nämlich organisiert, dass wir auf einen Kreuzer der DGZRS eine kurze Führung bekamen. Die Männer an Bord verdeutlichten ganz gut, was passiert, wenn man den Großteil seines Lebens an Bord verbringt: Putzen beginnt auf einmal Spaß zu machen und man bekommt eine gute Portion dunklen Humor. Um 17:30 Uhr saßen wir dann auch schon voller Vorfreude auf das Abendessen wieder im Bus auf dem Weg nach Hause.

Während dieser Fahrt wurde mir bewusst, dass dieser 25-stündige Sonntag mein Abschied von Norddeutschland sein sollte. Zwar testen wir morgen vorerst auf der Ostsee die reparierte Maschine, dennoch werde ich heute zum letzten mal die Fliederbeersträucher, die sanften Hügel, die mittlerweile goldenen Wälder und Felder sehen, die mich immer noch an Zuhause erinnert haben. All das verhinderte bis jetzt, dass ich realisieren konnte: Jetzt bin ich weg! Wie auch? Schließlich bin ich nicht mehr als eineinhalb Stunden von Hamburg entfernt. Doch das ändert sich jetzt. Gerade rechtzeitig wie Karla und ich finden, da es mittlerweile wieder vor sechs dunkel wird. Höchste Zeit, den Herbst zu verlassen. Höchste Zeit, uns an den Wildgänsen ein Beispiel zu nehmen, die wir seit Tagen über die Thor hinwegziehen hören. Höchste Zeit, vor dem Winter zu fliehen, um wie die Vögel im Frühjahr wiederzukehren.

Ich grüße meinen Papi, den ich zu sehr liebe, um es in Worte zu fassen, und gratuliere ihm ganz herzlich zum Geburtstag.

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