Wie in einem Märchen

schueler.sophieDatum: Samstag, der 31.10.2015
Mittagsposition: 50° 14,8′ N; 002° 35,6′ W
Etmal: 137 sm
Wetter: Lufttemperatur: 14° C, Wassertemperatur: 15°C, Wind: S6
AutorIn: Sophie

Es war einmal vor gar nicht all zu langer Zeit ein Segelschiff, das an einem sonnigen Samstagmorgen durch den ruhigen Ärmelkanal segelte. Man konnte nur die sanften Wellen an den Bug des Segelschiffes schlagen hören – doch Moment: Segeln? Sonne? Ruhe? Im Ärmelkanal?
Jaja, Sie haben schon richtig gehört. Die Thor Heyerdahl konnte am frühen Morgen das erste Mal ihre Maschine abstellen und die Kraft des Windes nutzen, um mit ungefähr 4 Knoten die südwestliche Küste Englands anzusteuern. Sogar die Seekranken vom Vortag konnten sich bei 15°C Lufttemperatur, was sehr unüblich für diese Jahreszeit ist, endlich regenerieren und das herrliche Mittagessen, nämlich Spaghetti Bolognese, wieder genießen.
Der Morgen verlief auf der Thor sehr entspannt bei einem ausgiebigen Frühstück und gemütlichem Lesen an Deck. Doch bereits nach dem Mittagessen stand die erste große Herausforderung des Tages an: Großreinschiff. Diese Erweiterung des alltäglichen, normalen Reinschiffs unterscheidet sich grob gesehen nur darin, dass nun wirklich jede Ecke, jede Kante, jede Bilge, jede Glocke – einfach alles – geputzt werden muss. Und selbst, wenn man nach ungefähr zwei Stunden glaubt, wirklich alles geputzt zu haben, findet bei der nachfolgenden Überprüfung der Räumlichkeiten, darunter auch der eigenen Koje, der Schiffsrat immer noch eine Kleinigkeit, die verbesserungswürdig ist. Der genannte Schiffsrat besteht aus Detlef und Ruth sowie jeweils einem Vertreter der verschiedenen Gruppen auf der Thor, zum Beispiel einem Schüler aus jeder Wache und der Stammbesatzung beziehungsweise der Lehrer. Dieser Rat bespricht hauptsächlich Probleme, die im Bordalltag anfallen können oder dient auch als rechtsprechendes Organ bei Regelverstößen. Von den acht Mitgliedern dieses Rates kommen vier aus den Reihen der Schüler.
Wie schon erwähnt, ist der Schiffsrat auch für die Abnahme der verschiedenen Stationen von Großreinschiff zuständig. Hier wird mit Taschenlampen bewaffnet jeder noch so kleine Winkel im Schiff nach Staub oder Dreckresten durchsucht. Nach zahlreichen Nachbesserungsvorschlägen und Erklärungen über die gesundheitlichen Risiken, die unsere Ungenauigkeit mit sich bringen kann (von Kakerlaken und kleinen Getieren mal ganz abgesehen) trifft sich die gesamte Crew oben auf dem Achterdeck, um das traditionelle Seemannsritual ‚Besanschot-an‘ zu zelebrieren. Doch davon später mehr. Davor steht nämlich noch die wöchentliche Versteigerung des Inhalts der Lost-and-Found-Kiste an. So ist es nicht selten, dass der eigene Socken oder die eigene Thermoskanne ihren Weg in diese Kiste findet. Der Eigentümer hat natürlich immer Vorkaufsrecht. Doch will er sich entweder nicht zu besagten Gegenstand bekennen oder erkennt ihn einfach nicht mehr wieder, kann es zu einer Versteigerung kommen. Hierbei liegt der Mindestbetrag bei 50ct. Der Erlös wird der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gespendet. In den Jahrgängen vor uns sind bereits mehrere hundert Euro zusammengekommen. Mal schauen, welche Summe wir letztendlich, der Schusseligkeit von so manchem KUSi sei Dank, spenden können.
Doch nun zurück zur seemännischen Brauchtumspflege, nach einem kurzen musikalischen Beitrag der Projektgruppe ‚Seemannsgarn‘, leitete Detlef das Ritual ‚Besanschot-an‘ ein. Ursprünglich feierten die Seeleute nach dem Bergen aller Segel, wovon das Besan das Letzte war, hiermit die gelungene Seefahrt. Bei uns hingegen wird das gelungene Großreinschiff gefeiert.
Nach besagtem Ritual findet dann noch die zweite Schülerversammlung statt. Sie soll uns Schülern die Möglichkeit geben, über Probleme oder Vorschläge zur Verbesserung des Bordalltags zu diskutieren, mal so ganz ohne Stamm. Natürlich sind die Ergebnisse streng geheim.
So langsam neigte sich der Tag dann auch mit einem atemraubenden Sonnenuntergang zu Ende und auf der Thor Heyerdahl kehrte allmählich wieder Ruhe ein. Doch bereits bei der Nachtwache gab es wieder etwas Aufregendes zu sehen: Die ersten Delfine, die neben dem Achterdeck umher schwammen!

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