Dicke Tampenkerzen, Meeresrauschenduft…

schueler.karenDatum: Sonntag, der 29.11.15
Mittagsposition: 18° 30,2′ N; 032° 48,7′ W
Etmal: 111
Wetter: Lufttemperatur: 28° C, Wassertemperatur: 26° C, Wind: ENE 2
Autorin: Karen

…und ein Hauch von Heimlichkeiten liegt schon in der Luft. Der erste Advent an Bord der Thor Heyerdahl. Ich stehe im Backbordausguck und hinter mir beginnt Chris „Oh du Fröhliche“ auf seiner Trompete zu spielen, während ich den weiten und leeren Horizont des Atlantiks betrachte. Meine Gedanken schweifen zu meiner Familie und dem ersten Advent Zuhause ab.
Normalerweise binde ich kurz vor dem ersten Adventssonntag mit meiner Mutter unseren Adventskranz. Dann stecken wir die dicken roten Kerzen an den Kranz und dekorieren ihn noch. Am Adventsmorgen stehe ich dann auf, laufe nach unten und gucke meinem Vater beim Kaffeekochen zu und dann frühstücken wir erst einmal. Ein richtiges Adventsfrühstück. Der Adventskranz steht auf dem Tisch, die erste Kerze brennt und für mich beginnt die Weihnachtszeit mit diesem Moment. Hatten die Weihnachtssüßigkeiten und Dekosachen, die seit September ja schon die Supermärkte verzieren, bis jetzt keine Bedeutung für mich, werden sie mit diesem Augenblick wichtig und senden bei jedem Vorbeigehen an ihnen ein kleines Stück des Weihnachtszaubers aus. Die ganze Welt scheint im Weihnachtsfieber zu versinken, in der Schule wird schon von den Weihnachtsferien geschwärmt und man zerbricht sich mal wieder den Kopf, wem man was schenkt.
Das ist die Weihnachtszeit zuhause, die mit dem ersten Advent eingeläutet wird. An Bord sieht das alles etwas anders aus. Der größte Unterschied ist schon einmal, dass hier kein typisches Weihnachtsgefühl aufkommt. Es fehlen der Schnee, die Nächte mit Wärmflasche und der warme Tee mit Plätzchen. Es ist nicht so, als wäre hier gar keine Weihnachtsstimmung, sie ist nur ganz anders, es ist eher so eine Art Spannung darauf wie die Adventszeit an Bord zelebriert werden wird.
Am Morgen des ersten Advents war auch noch gar nichts Weihnachtsähnliches zu finden. Der ein oder andere hatte sogar vergessen, dass der erste Advent ist! Doch im Laufe des Tages sollte sich das noch ändern…
Dank meiner Backschaft am Vortag und der Zeitumstellung in der Nacht bin ich bereits um 07.00 Uhr wach und gehe nach oben, um etwas frische Luft zu schnappen. Die Sonne scheint, es ist keine Wolke zu sehen und eine leichte, aber warme Brise weht mir um die Nase und trägt auch den Geruch der Pfannkuchen, die anlässlich des Sonntags zubereitet wurden, aus der Kombüse zu mir. Es ist jetzt schon 26 Grad warm. Noch vor dem Frühstück schnappe ich mir meinen Gurt, klettere hoch ins Rigg und lese den Brief meiner Schwester und meiner Nichte. Da sitze ich dann, blicke mich um und werde mir wieder der surrealen Situation, in der ich mich befinde bewusst. Um 09.00 Uhr treffe ich mich mit meiner Wache zum Frühstück in der Messe und dort schmelzen wir fast, so warm ist es unter Deck. Trotzdem trinken wir Richards Schwarztee mit Kluntjes (ostfriesischer Kandiszucker) wie jeden Morgen. Nach dem Frühstück beeilen sich alle, nach draußen zu kommen. Bis zu meiner Wache um 14.00 Uhr habe ich frei. Ein paar von uns gehen raus aufs Deckshaus und lesen bis aus heiterem Himmel der Ruf ertönt: „Alle die Weihnachtslieder singen wollen, bitte jetzt in die Messe.“
Und da sitzen wir dann zu acht und das erste Mal passiert etwas Weihnachtliches an Bord. Wir proben „Lasst uns froh und munter sein“ für die Kaffeezeit. Dazu gibt es etwas frisches Brot von der sonntäglichen Brotbackschaft. Um 15.00 Uhr bei Kaffee und Kuchen geht es dann weihnachtlich weiter. Der traditionelle Tampenadventskranz mit der ersten Tampenkerze wird vorgestellt und in der Messe aufgehängt. Dies ist ein Kranz aus zwei gewundenen Tampen mit einer Kerze ebenfalls aus Tampen. Dann sind wir mit dem Singen dran. Alle grölen mit und es kommt tatsächlich so etwas wie Weihnachtsstimmung auf. Und noch etwas ist so ähnlich wie in Deutschland um diese Zeit, es regnet doch tatsächlich etwas während meiner Wache. Aber der Regen zieht schnell ab und die Sonne kommt wieder heraus.
Obwohl wir hier mitten auf hoher See sind und die Weihnachtsstimmung ganz anders ist, freuen sich doch alle und hoffen auf einen etwas weihnachtlichen Alltag.
Ich löse meinen Blick vom Ozean und lasse ihn übers Deck schweifen. Auf dem Deckshaus diskutieren Sophie und Nico lachend und winken mir zu, Frank trippelt mit seinem typischen, verschmitzten Franklächeln in die Atlantikpfütze, Fidi lehrt gerade Teigwasser unseres frisch gebackenen Brotes über der Reling aus und Laura unterrichtet einige im Tampenkerzenknoten auf der Ladeluke. Die schon tief stehende Sonne leuchtet mir ins Gesicht und ich muss lächeln, während ich meine neue, zweite Familie beobachte und meine Augen wieder zum Horizont wandern. In dem Moment ist mir klar, dass ich hier, mitten auf den Weiten des Meeres am ersten Advent, genau richtig bin.

Menu