Traumstoff weben

schueler.rajaDatum: Freitag, der 25.12.2015
Mittagsposition: 12° 39,4′ N; 069° 04,7′ W
Etmal: 166 sm
Wetter: Lufttemperatur: 28° C, Wassertemperatur: 27°C, Wind: ENE 6
Autorin: Raja

Ja, ich finde Traumstoff haben wir schon fleißig gewebt. Viel Märchengewebe haben wir schon gemacht und jeden Tag wird der Stoff größer. Wir erleben hier jeden Tag so unglaubliche Sachen und so viel Neues, dass wir es gar nicht mehr alles aufzählen können. Ich fange einfach mal beim Frühstück an, denn auch wenn das für uns mittlerweile völlig normal ist, sitze ich manchmal da und denke „Wow!“. Meistens scheint die Sonne und während man auf der Backskiste seinen Obstsalat isst, werden die Füße mit Wasser umspült. Ein schönes hin-und-her-Geschaukel lässt den Kaffee aus der Tasse schwappen und das Brot vom Teller rutschen und der Wind zerzaust einem die Haare. So sitzen wir jeden Morgen an Deck, schauen auf das Meer, beobachten die Wellen und unterhalten uns über die letzte Nachtwache. Es ist wunderschön und man könnte ewig einfach nur da sitzen und hinschauen, doch obwohl heute der erste Weihnachtsfeiertag ist, wartet Marta mit dem Geographie-Unterricht. Auf der Thor ist eben alles ein bisschen anders als gewohnt, immerhin wurde gestern Weihnachten in kurzer Hose und T-Shirt gefeiert. Und genau deswegen ist es auch nicht schlimm heute wieder etwas Klassenzimmer unter Segeln zu haben, denn dann ist auch die Zeit am Riff später länger.
Ich sitze gerade in meiner Kammer und quetsche meine Schulsachen in das schmale Fach, als es einmal klingelt und ein „Warschau Typhon!“ über das gesamte Schiff geschrien wird. Jedes Mal wenn es klingelt, zucke ich zusammen und will schon schnell an Deck laufen, doch dann schaue ich meist doch nochmal auf die Uhr und stelle fest, dass es doch nur das Mittags-Typhon ist. Ein lautes WHOOOP ertönt und kurz darauf kann ich auch schon die Glocke, die zum Mittagessen ruft, hören.
Das Mittagessen ist heute wieder anders als sonst. Normalerweise haben wir jeden Morgen voller Erwartung auf die Tafel in der Messe geschaut, ob unser Name dort steht, denn dann wären wir mit dem Adventskalender dran und dürften vor dem Mittagsessen das Säckchen von den KUSis 2014/15 öffnen. Doch gestern wurden die letzten Adventskalendertürchen geöffnet und heute gibt es nichts mehr auszupacken.
Während der stillen Minute lasse ich meinen Blick über das Deck schweifen. Über die festgezeiserten Bierbänke, die Antirutschdecken und den kleinen Kunststoffweihnachtsbaum, der verwegen auf dem Dach des Niedergangs steht und dem Wind trotzt. An den Sicherheitsnetzen hängen noch die Sterne aus Papier von gestern Abend und werden von den großen Wellen nass gemacht. Nass gemacht wird hier auf dem Hauptdeck viel. Nicht selten sind die Wellen so hoch, dass sie über das Schanzkleid kommen und die, die sich dort entspannt angelehnt haben, eine triefend nasse Hose bekommen. Trockene Hosen werden sowieso überbewertet, genauso wie Salat. Tja, mein Salat ist heute nicht bis zu meinem Mund gekommen, denn wie ich feststellen konnte, fliegt Blattsalat sehr gut.
Viel zu schnell geht der Tag vorbei und schon wird es langsam dunkler. Die Sonne geht langsam unter und die Wolken werden in ein wunderschönes Lila gefärbt. Dann ist die Sonne verschwunden und zur Nachtwache werden die Taschenlampen ausgepackt.
Während auf dem Achterdeck Ruder gegangen und im Ausguck gestanden wird, sitzen einige Neugierige diesen Abend in der Messe. Auf der Steuerbordseite haben sie sich versammelt und schauen erwartungsvoll Laura an, die einen 1. Weihnachtsfeiertag-Vorleseabend angekündigt hat. Das Licht wird gedimmt und Laura holt „Oh wie schön ist Panama“ hervor und fängt an zu lesen. Es wird immer später, doch keiner will schlafen gehen. Zu schön ist es, in der Messe zu sitzen und einfach nur zu lauschen, wie der Tiger und der Bär sich auf den Weg nach Panama machen. „Oooh“, rief der kleine Tiger, „ist das nicht schön?“ – Ja, das finden wir auch.

Ihr Lieben, ich wünsche Euch noch wunderbare Feiertage und ganz viele Momente zum Traumstoff-Weben. Bis bald, Eure Raja

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