„Einmal fünf Minuten die Sonne genießen, wenn man sie mal NICHT schießen muss.“

schueler.lukasDatum: Donnerstag, der 03.03.2016
Mittagsposition: St. George’s Harbour, Bermuda
Etmal: 0 sm
Wetter: Wassertemperatur: 19,5° Lufttemperatur: 18° Wind: N 0-1
Autor: Lukas

Die erste Nacht, in der ich wieder durchschlafen konnte. Das erste Frühstück, bei dem ich ganz und nicht zwischen Sterne- und Sonneschießen dabei sein konnte. Der erste Tag danach.
Als ich am Morgen geweckt werde, stehe ich wie in den Tagen davor zügig auf, denn Sophie will um vier Uhr morgens pünktlich abgelöst werden. Die acht statt sechs Stunden, die Sophie, Uri und ich im Drei-Wach-System gehen, machen sich bemerkbar. Ich sehe den Tag schon vor mir: Die letzte entspannte Stunde vor Beginn der Dämmerung, wenn nach und nach die gesamte Astronavi-Gruppe zum Sterneschießen auf dem Achterdeck eintrudelt. Die Einteilung verläuft wie immer, heute sind Sophie und ich an den Sextanten, Leonhard am Fernglas, Vinzent und Koko kümmern sich um das Aufschreiben der Werte und Leonie steht am Kompass.
„Ich hab ihn!“ – „Ja, ich auch.“ – „Sag, wenn du bereit bist.“ – „Schießen wir ihn.“ – „Achtung…Null!“
Immer wieder, bis auch der letzte Stern verschwunden ist. Wir bedanken uns bei allen Helfern und gehen zu dritt in die Bibliothek zum morgendlichen Denksport. Die Rechenvorlage beachten wir nicht einmal mehr, wir können sie in- und auswendig.
„Grt“ – „103° 47,7′ “ – „Zuwachs für 11 Minuten 47 Sekunden“
Nach jeder Zeile vergleichen wir unsere Ergebnisse, denn wir rechnen alles im Kopf und jeder kleinste Fehler führt zu einem falschen Ergebnis. Bis zum Frühstück haben wir uns dann auf dem Plottingsheet zwischen allen wirr aussehenden Linien den entscheidenden Punkt eingezeichnet und mit 0600 beschriftet, es ist unsere Position. Etwas zu weit südlich, aber sonst alles wie erwartet. Ich bespreche mich noch kurz mit Johannes, die Maschine wird in einer halben Stunde klar zum Starten sein. Bis dahin gönne ich mir eine kurze Frühstückspause.
„Kann ich?“ – „Ja, leg los.“
Ich gehe zum goldenen Hebel und starte die Maschine. Langsam drehe ich sie auf 180 Umdrehungen, die Fahrwache holt den ersten Biomüll des Tages zur Relingslogge. Uri gibt den neuen Kurs an den Rudergänger weiter und mit Alena als Wachführerin behalte ich die Segel genau im Auge. Noch schlagen sie nicht und stehen gut, aber bei 240 Umdrehungen fallen schließlich die Rahsegel back, denn wir laufen schneller als der Wind. Zügig werden sie unter Christophs Leitung aufgegeit, damit sie nicht bremsen.
„Was liegt an?“ – „ Kurs 095°“
Wir sind wieder auf Kurs Richtung Wegpunkt 1, an dem die nächste Kursänderung stattfinden wird. Es ist Viertel vor elf und in der Navi warten schon Sophie und Uri, um die Präsentation vor der Schiffsleitung vorzubereiten. Beim täglichen Treffen um elf Uhr zwischen Schüler- und echter Schiffsleitung stellen wir unsere Position, die Wetterlage und den weiteren Kursverlauf vor. Danach präsentieren die Projektleiterinnen Lara und Karen ihre Arbeit. Nach einer guten halben Stunde nehme ich mir einen Sextanten und gehe schon einmal vor aufs Achterdeck, die Kulmination der Sonne steht kurz bevor. Die wenigen Minuten, in denen sie am höchsten Punkt ihrer Bahn stehen bleibt sind lang genug, um ihren Höhenwinkel auf den Bruchteil einer Minute genau zu bestimmen. Anschließend geht es wieder in die Bib zur Rechenstunde.
„Nimm dir noch fünf Leute und hol die Gaffelsegel alle mittschiffs, dann holt nochmal am Piekfall, sodass sie nicht schlagen.“ – „Ok, wo sollen wir anfangen?“ – „Vorne beim Schoner, dann das Groß und den Besan bergen wir gleich sowieso noch.“
„Die Schülerstammversammlung ist nach dem Essen um 13 Uhr auf dem Achterdeck!“
Diese Besprechung unter uns im Schülerstamm findet täglich statt, wir tauschen uns über die Stimmung und Probleme im Wachbetrieb und im Bordalltag aus. Dazu gehört zum Beispiel der viel zu hohe Wasserverbrauch, über den uns Johannes aufklärt, den sich aber niemand erklären kann. Jeder gibt noch ein kurzes Feedback zum aktuellen Stand der Dinge, die Wachführer und Copis berichten aus ihren Wachen. Für den nächsten Tag zur selben Zeit verabreden wir uns wieder.
In der Navi nach dem abendlichen Sterneschießen ist die Müdigkeit schon fast greifbar. Aber vor der Bettruhe müssen die Sterne und Planeten für den nächsten Morgen noch vorausberechnet werden, ich übernehme das mit Uri, der gerade aus der Schiffsleitung Wache hat. Ums Schiffstagebuchschreiben kümmert sich Sophie während ihrer Schicht von null bis vier Uhr. Ins Weckbuch schreibe ich: Lukas 7 stb. u. 0345
Noch fünf Minuten unterhalte ich mich mit der Fahrwache oben an Deck an der frischen Luft bevor ich allen gute Nacht wünsche und mich auf dem kürzesten Weg auf ins Bett mache.

„Es ist halb acht und in einer halben Stunde gibt es Frühstück. Stehst du auf?“, fragt mich Toni. Ich brauche kurz um mich zu sortieren. Wieso ist es schon so spät? Wieso schaukelt es nicht mehr?
Wir haben an der Pier festgemacht und das Schiff ist wieder zurückübergeben. Vor uns liegt der erste Unterrichtstag auf den Bermudas, und für den Abend steht noch eine Überraschung bevor: nachdem die Besatzung der Regina Maris, des niederländischen Schulschiffes, uns in Teneriffa eingeladen hat, laden heute wir zum gemeinsamen Barbeque ein.

Für uns alle war die Schiffsübergabe ein voller Erfolg, und mit voller Energie und Motivation waren alle zu jeder Tages- und Nachtzeit dabei. Wir sind froh, pünktlich in Bermuda eingelaufen zu sein, und ich persönlich habe vor allem den Vorsatz mitgenommen: „Einmal fünf Minuten die Sonne genießen, wenn man sie mal NICHT schießen muss.“

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