Zustände und Gedankengänge bei Sturm

schueler.antoniaDatum: Montag, der 14.03.2015
Mittagsposition: 32° 18,5′ N; 050° 59,5′ W
Etmal: 91 sm
Lufttemperatur: 20° C, Wassertemperatur: 19,5°C
Wind: NNW8
Autorin: Antonia

„Guten Morgen Toni! Es ist…-“ „-Jaaa!“, beginne ich den Tag, obwohl ich gefühlt die ganze Nacht wach war und von einer Seite zur anderen gerollt bin. Es ist sieben Uhr und ich werde zum Frühstück geweckt. Kein Seemannssonntag, kein normaler Sonntag? keine Nutella, kein leckeres Brot, keine Pancakes oder Ähnliches? weiterschlafen. Doch unglücklicherweise drückt meine Blase und ich (un)bequeme mich dazu, aufzustehen, um mich auf den Weg zu den Toiletten zu machen. Träge schleppe ich mich also den Niedergang hinauf und erfreue mich zweier freier Backbordklos, bis mir, spätestens als ich die Tür aufmache, der momentane Zustand unserer Bordtoiletten wieder bewusst wird (diesen Zustand nennt man auch Verschlusszustand Stufe drei), denn das miserable Klima schlägt mir entgegen. Es ist, als hätte die Luft schon die ganze Zeit einen Ausweg gesucht, den sie aufgrund eines geschlossenen Bulleyes plus Schlagklappe logischerweise nicht finden konnte. Wie soll ich bitte bei diesem Klima Physik lernen? Auf dem Backbordklo achtern hängt seit Neustem eine Übersicht aller Formeln, die wir für den anstehenden Physiktest brauchen. Bis jetzt ist noch nicht ganz geregelt, wie lange jeder während dem Test aufs Klo muss… F = m?a, v = a?t,…Ahhrghh, wie soll man sich das denn alles merken!? Noch deprimierter als vor dem Toilettengang verlasse ich das Deckshaus und entscheide mich dafür, meinen Frust in Obstsalat zu versenken. Obstsalat mit Joghurt, Cornflakes mit Milch und Müsli mit Kaffee…dann habe ich alles so gut wie möglich untergebracht und das macht drei Portionen.

Meine soeben aufgetretene Zufriedenheit verschwindet sofort wieder, denn in zehn Minuten muss ich auf dem Achterdeck stehen. Das Problem dabei ist vor allem die Zeit, wenn man bedenkt, dass man sich aufgrund der Gurtpflicht Ölzeugjacke, Ölzeughose und Gurt darüber anziehen muss. Da ich schon immer eine kleine Unbegabung im Bereich Gurt anziehen habe, plane ich mindestens eine viertel Stunde dafür ein, was in diesem Fall zu einer hektischen Stresssituation führt. Okay… Gut, das muss heute mal schnell gehen. Gummistiefel aus, Ölzeughose an, Gummistiefel an, Ölzeughose über Gummistiefel, Ölzeugjacke an, Reißverschluss zu, Gurt an…jaaah. Gurt richtig rum drehen und Riemen ordnen… okay… ha, ich glaub ich hab’s richtig rum, jetzt nur noch zuziehen und – Nein! Die Steuerbord Beinschlaufe ist falsch herum. Und den ganzen Gurt noch einmal ausziehen. Letztendlich schaffe ich die ganze Prozedur, haste den Niedergang hoch und hieve mich in meinem eher schlecht beweglichen Outfit durch die Niedergangstür bis auf das Achterdeck.

Nach der Wachübergabe stehe ich im Ausguck und beobachte die Wellen und den zunehmenden Wind. Außerdem fange ich wie immer an zu singen: „Let it go, let it go, Can’t hold it back anymore. Let it go, let it go. Turn away and slam the door. Here I stand and here I stay. Let the storm rage on…“ Just in diesem Moment fängt es an zu regnen, die Windsee verschwindet mit einem mal und das Wasser dampft. Die lang erwartete Kaltfront, auf die wir uns so lange mit Verschlusszustand drei vorbereitet haben, ist also gekommen und auf einmal geht alles ziemlich schnell. Detlef ruft vom Achterdeck: „Klarmachen zur Halse! Zack Peng, das muss jetzt mal schnell gehen!“ Alle außer dem Rudergänger rennen vor zu den Segeln, nur ich werde nach unten zu den Kammern geschickt, um mehr Leute hoch zu scheuchen, von denen sich zum Glück prompt einige bereit erklären und sich (schneller als ich natürlich) in Schale schmeißen. Außer Atem kehre ich an Deck zurück und mit unserer bescheidenen Anzahl an Personen besetzen wir die Stationen des Schoners, um ihn umzuschiften. Mein Wachführer ruft durch den lauten Regen: „Hol durch die Schot, fier auf den langen Bullen, fier mit die Backbordgei, hol durch die Steuerbordgei!“ Mit viel Mühe bezwingen wir den Schoner und den Rest der Sturmbesegelung, wobei uns die Verstärkung zu Hilfe eilt. Als letztes sind noch einige Tampen aufzuschießen und zu sichern. Nach der Wache erholen wir uns von diesem einzigartigen Erlebnis mit Reinschiff Sanitär und süßem Glockengeruch bei Verschlusszustand Stufe drei. Jaah… alles in allem ein recht stürmischer Start in den Tag. Wenigstens muss ich jetzt kein schlechtes Gewissen haben, dass ich immer noch kein Physik gelernt habe, bei dieser Länge an Zeit, die ich heute mit Putzen und Freiarbeit auf dem achteren Backbordklo verbracht habe…

Allerliebste Tilli!!! Alles Gute (und hoffentlich recht schönes Wetter) zu deinem 14. Geburtstag! Ich habe heute viel an dich gedacht und hätte dich gerne einmal (oder besser 14 Mal gedrückt). Also fühl‘ dich umarmt und lass dich schön feiern! Deine Toni

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