Unsere Beziehung zu Neptun

schueler.rajaDatum: Dienstag, der 05.04.2015
Mittagsposition: 45° 25,4′ N; 016° 10,2′ W
Etmal: 138 sm
Wetter: Lufttemperatur: 13° C, Wassertemperatur: 12,2°C, Wind: WNW 3
Autorin: Raja

„Unsympathischer, launischer, störrischer Gott, jetzt gibt es Bananenschalen.“ Etwas zu schwungvoll wird der Biomüll unter lautem Platschen über die Reling ins Wasser gepfeffert und kurz darauf treiben die Bananen-, Kiwi- und Ananasschalen genauso wie der Kaffee am Achterdeck vorbei. Wieder etwas Essen für unseren guten alten Freund Neptun, dem Herrscher der Meere, Ozeane, Flüsse und sonst noch allen Gewässern. Wir sind also mitten in, besser gesagt auf seinem Herrschaftsbereich, was uns der Griesgram auch regelmäßig spüren lässt. Wenn ich wieder eine riesige Welle mitten ins Gesicht bekomme und völlig eingeweicht und tropfnass schimpfe, stelle ich mir immer einen hämisch grinsenden alten Mann mit Bart auf dem Meeresgrund vor, der sich gerade tierisch darüber freut, uns wie eine kleine Nussschale auf dem Ozean hin und her zu schubsen und zu ärgern. Ich bin überzeugt, dass Neptun sich einen Heidenspaß daraus macht, uns wild herum zuschaukeln, auf den Wellen tanzen zu lassen und seine Macht hemmungslos auszunutzen, auch wenn wir bei jedem Besanschot an freundlich zu ihm sind. Jedes Mal bekommt er einen Schluck Rum spendiert und trotzdem habe ich ständig das Gefühl, dass sich seine Freundlichkeit irgendwie in Grenzen hält. Aber Brauch ist Brauch, dagegen hilft auch Martas Gezeter von wegen Rumverschwendung nichts, und wer weiß, vielleicht wäre Neptun ohne Rum ja auch noch griesgrämiger drauf.
Die Sache mit der guten Stimmung ist bei Neptun allerdings sowieso ein kleines Problem, für welches bis jetzt noch keiner von uns eine gute Lösung gefunden hat. Auch die krampfhaften Versuche der Seekranken, Neptun zu erklären, dass dieses endlose Geschaukel doch auch keine Lösung sei und man eigentlich auch so gut miteinander auskommen könne, waren bis jetzt alle erfolglos. Und dabei haben wir echt viel versucht. Zahlreiche Stoßgebete, Bitten und Flehen, Mageninhalte und Schimpftiraden wurden schon auf den Herrscher der Meere losgelassen, aber so richtig funktioniert hat da noch nichts. Inzwischen gibt es unendlich viele Geschichten und Failblog-Einträge, die nur ihm zu verdanken sind. Wir haben beschlossen, einfach alles positiv zu sehen, nur Neptun verdanken wir ein ständig gespültes Deck, auf dem Dreck keine Chance hat. Danke Neptun! Die Wellen machen alles, was sich dummerweise an und nicht unter Deck befindet, nass. Den Ausguck, den Wachführer, den Rudergänger, keiner wird vom Salzwasser verschont. Wäre doch blöd, wenn man trocken von der Wache den Niedergang wieder runter kommt und sich nicht erst wieder aufwärmen müsste. Und deswegen passiert es immer wieder, dass ich im Ausguck stehend die riesige Welle auf die Thor zubrausen sehe und natürlich nicht fliehen kann. Die Welle trifft auf die Bordwand, die Thor kippt etwas zur Seite und das Wasser schäumt auf, birst und spritzt über das gesamte Achterdeck. Feucht fröhliches Erwachen am Morgen bei Wache 3.
Das ganze Spektakel wird natürlich von der Backschaft aus der Kombüse aus beobachtet, doch dann  kommen auch dort die Auswirkungen der Welle an. Panisch wird alles festgehalten, die Schlitterpartie auf dem Boden beginnt wieder. Eine deutliche Steigerung von 5 auf 20 Martas, so viel steht fest. Ja, wir haben eine neue Einheit in der Kombüse erfunden, Aggressionen pro Stunde –  Martas eben. Ein Marta entspricht einer Aggression in der Stunde, da ist noch alles im grünen Bereich. Bei 5 Martas herrscht meistens moderater Seegang und ab 20 Martas wird es kritisch, denn dann muss alle drei Minuten mit einem Anfall gerechnet werden. Und wenn die Backschaft wieder mit der Schürze herumläuft und auf der in Brusthöhe ein „Neptun, ich verfluche Dich“ beschriftetes Tape klebt, erkennt man die Notwendigkeit für eine Einheit, die das Chaos in der Kombüse treffend beschreibt.
Aber auch das Verfluchen hat Neptun bisher nichts ausgemacht. Immer weiter werden wir von Backbord nach Steuerbord geschubst, immer weiter fliegen Teller durch die Kombüse und eigentlich ist das auch gut so. Neptun gehört, egal wie unsympathisch, launisch und störrisch er gerade auch ist, einfach dazu.

Liebe Klara, ganz, ganz liebe Grüße nach Argentinien. Ich denke an Dich und würde Dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken! Bis bald, wenn wir wieder Spinnen jagen.
„Du bist schrecklich spät, weißt Du? – Zeit ist in Träumen sonderbar.“

Menu