Datum: Donnerstag, der 14.04.2016
Mittagsposition: 49° 51,1′ N; 002° 57,7′ W
Etmal: 93 sm
Wetter: Lufttemperatur: 11,5° C, Wassertemperatur: 10,5°C, Wind: SSE2-3
Autorin: Lea
Ich stehe am Ruder und überlege, worüber ich mein Tagebuch schreiben kann. In Gedanken versunken stelle ich fest, dass ich fünf Grad vom Kurs abgekommen bin. Ausgerechnet in dem Moment kommt Vinzent vorbei, einer unserer Steuermänner während dieser Schiffsübergabe.
„Vinzent, wie kann ich mein Tagebuch spannend schreiben?“
„Lea, wie kannst du deinen Kurs richtig halten?“
Ich habe eine andere Antwort erwartet. Also konzentriere ich mich wieder auf das Rudergehen. Es dauert aber nicht lange, da setze ich mich schon wieder damit auseinander, was ich in mein Tagebuch schreiben könnte.
Ich könnte ein Tagebuch über meine morgendliche Gummistiefelsuche schreiben:
Heute Morgen vor meiner Wache bin ich wieder durch den Gang gelaufen und habe Gummistiefel in der Größe 38 gesucht, da meine undicht sind. Letztendlich konnte ich Janas anziehen, die allerdings Schuhgröße 41 hat.
OK, ich geb’s auf! Ich kann keine ganze Seite darüber schreiben.
Wie wäre es mit einem Gedicht über das Rudergehen? Aber Gedichte gab es schon so viele. Das heißt, ein Gedicht fällt schon mal raus. Ich könnte einfach so einen Text über das Rudergehen schreiben! Was ist denn heute alles am Ruder passiert? Eigentlich nichts Spannendes. Es war nicht schwer, den Kurs zu halten, wenn man sich dabei konzentrierte. Also war’s so wie immer. Hmm, da kann ich auch keine ganze Seite drüber schreiben.
Meine Position als Bäckerin bei der Schiffsübergabe, mit Alena und Pia, wäre doch auch ein spannendes Thema. Heute, am ersten Tag der Schiffsübergabe, ist aber noch nicht so viel passiert, außer, dass wir nach der Wache mitten in der Nacht das Bananenbrot für morgen gebacken haben. Nee, da kann ich auch keine Seite drüber schreiben. Worüber kann ich denn eine ganze Seite schreiben?
Über das Messing polieren und den Geruch der Hände danach? Über das Buddelschiff bauen in der Last (hoffentlich werde ich noch fertig)? Über die Lasagne zum Mittagessen? Die war lecker! Oder über ein frisch gestrichenes Deckshaus und die weißgefleckten Öljacken von denen, die sich daran angelehnt haben? Könnte ich generell etwas über die Schiffsübergabe schreiben?
Mir kommen so viele Ideen, aber ich weiß entweder nicht, wie ich es aufschreiben kann oder ich schaffe es nicht, eine ganze Seite darüber zu schreiben.
„Worüber kann ich mein Tagebuch schreiben, Lukas?“
„Über die unterschiedlichen Schlafstile hier an Bord: Es gibt Alena, die fünf Mal geweckt werden muss, bevor sie wirklich wach ist und zur Wache kommt. Raja, die innerhalb von zehn Sekunden eingeschlafen und völlig weg ist. Es gibt so viele Unterschiedliche!“
Ich fange an, meinen Text darüber zu schreiben, aber nach einer halben Seite stelle ich fest: Ich schaffe es nicht, eine ganze Seite darüber zu schreiben!
So entscheide ich mich dafür, über alle Ideen, die kamen, zu schreiben. Ich sitze in der Messe und schaue zu, wie unterschiedliche Sachen gemacht werden. Es wird gelesen, gemalt, Knoten gelernt und Fragebögen ausgefüllt. Ich versuche, mich von dem inspirieren zu lassen, was hier passiert. Jetzt ist nach vielen Stunden, in denen ich aufgeschrieben habe, was mir in den Sinn kam, dieser Text herausgekommen und ich muss mir die Frage, worüber ich mein Tagebuch schreiben kann, nicht mehr stellen.
Liebe Mama, lieber Maxi, alles Gute zum Geburtstag! Bleibt so wie ihr seid! Ich hab‘ euch lieb, bis zum Mond und wieder zurück…