In anderem Rhythmus

Stamm.NadineDatum: Sonntag, 24.04.2016
Mittagsposition: Kiel
Lufttemperatur: 5°C Wind: SW1
Autorin: Nadine

Es ist 0420 – plötzlich bin ich hellwach! Einen Moment liege ich orientierungslos da, dann merke ich – ich bin nicht mehr in meiner Koje. Und plötzlich realisiere ich – es ist vorbei! Das große Abenteuer, das mein Leben seit gut einem Jahr mitbestimmt, auf das ich hingefiebert, das mich in den letzten sechs Monaten so bewegt hat, ist vorbei – und ihr seid weg. Ich merke, dass mir Tränen über die Wange laufen. Plötzlich sind sie da, treffen mich wie ein Schlag in den Magen, alle Gefühle, die ich während unseres Abschieds an der Schwentine verdrängt oder einfach nicht realisiert habe?!
Obwohl ich nicht allein bin, fühle ich mich in diesem Moment schrecklich einsam. Ich wälze mich von rechts nach links, muss aber schließlich feststellen: Es hat keinen Zweck! 0430 – normalerweise kommt jetzt jemand aus Wache II, aber die Tür geht nicht auf, niemand kommt um mir zu sagen, dass ich in einer halben Stunde Wache habe, es a…kalt ist und ich mir etwas Warmes anziehen sollte.
An Schlaf ist gerade eh nicht mehr zu denken, also stehe ich eben auf und trinke einen Tee. Doch auf dem Weg Richtung Wasserkocher fällt die Traurigkeit, die sich wie ein enger, eiserner Ring um meinen Brustkorb gelegt hat, nicht von mir ab. Ganz im Gegensatz zu den Tränen, die mir inzwischen in einzelnen, riesigen Tropfen still aufs Top fallen. Keiner von euch sitzt hier wie in der Messe, um trotz der wirklich unchristlichen Uhrzeit etwas Heißes zu trinken, die Erlebnisse des Tages zu notieren oder Briefe an eure Lieben zu schreiben. Jetzt bin ich es, die sich Briefe von euch wünscht und das Bedürfnis hat, euch so viel zu sagen, jedem von euch. Sagen, wie sehr jeder einzelne mein halbes Jahr auf der Thor bereichert, besonders gemacht hat. Der eine, indem er mich zum Lachen gebracht hat, wenn ich genervt oder traurig war. Der andere, indem er weinend Trost bei mir gesucht hat und ich einfach nur da sein musste. Der nächste, weil er sich zu mir gesetzt hat und wir ein wunderbares Gespräch führen konnten über Gott und die Welt, über das fantastische Blau des Atlantiks, das je nach Wetter, Wind, Wassertiefe und Licht eine andere Nuance hat, über Omas selbstgemachte Marmelade und Opas selbstgemachten Honig, über grüne Wälder und Felder, Heimat, die wir vermissten…
Jetzt sind wir alle wieder dort. Und trotzdem fühle ich mich unglaublich unvollständig. Ihr fehlt! Das Schaukeln, die Enge, die feste Tagesstruktur – zu viel Zeit. Ich suche Ablenkung – irgendetwas vermeintlich Sinnvolles tun, was man eben so tut, wenn man aus einem Paralleluniversum ausgespuckt und in ein altes Leben zurückgeschleudert wird, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint , während wir zusammen so viel erlebt haben, dass ich zur Verarbeitung noch einige Zeit brauchen werde. 0500 – es ist unglaublich still um mich, so still, dass ich meinen Herzschlag höre, er schlägt arhythmisch zur Uhr an der Wand…

Menu