Wunderschöne Augenblicke

schueler-lisaDatum: Donnerstag, der 27.10.2016
Mittagsposition: 42°45.6’N 011°06.3’W
Etmal: 138 sm
Wetter: Lufttemperatur 18°C, Wassertemperatur: 17,5°C, Wind: NE4
AutorIn: Lisa

„Diese Reise besteht aus 90% Arbeit und 10% Spaß“, so in etwa hat es Ruth, die Projektleiterin, vor dem Auslaufen formuliert.
Das hörte sich zunächst nach ganz schön viel Arbeit an, doch nach einem Tag wie heute kann man sagen: Ruth hatte Recht, und trotzdem sind es die 10 % absolut wert. Ich schreibe daher heute mal über die Freizeit. Fangen wir doch mit dem Umstand an, dass sich Entspannung nach getaner Arbeit nochmal besser anfühlt. Angenommen, man hat gerade keine Wache, muss nicht Putzen oder Kochen oder Abspülen, hat keinen Unterricht und übernimmt auch sonst keine von den auf einem Segelschiff anfallenden Arbeiten. Was gibt es da schöneres, als an Deck zu sitzen und die Sonne zu genießen? Die wundervolle, warme, goldene Sonne, die einem noch ein wenig strahlender vorkommt, wenn man gerade die kalte Nordsee hinter sich gelassen hat.

Ruhig und einschläfernd fühlt sich die Bewegung des Schiffes an, jetzt, wo man nicht mehr seekrank ist. Der wolkenlose Himmel und das unendliche Meer wetteifern am Horizont um den schönsten und reinsten Blauton. Das leise Knarzen des Schiffes und das Plätschern des Wassers wird nicht mehr übertönt, seit wir die Maschine ausgestellt haben. Wir segeln, und das ist eines der schönsten Gefühle überhaupt. Man kann natürlich, um sich die Zeit noch ein wenig zu verfeinern, auch eines der Bücher aus unserer gut bestückten Bibliothek nehmen oder ein nettes Gespräch führen. Hier wird auch gerne mal gesungen und zwar zu jeder Gelegenheit. Die Freizeit wird auch gerne genutzt um ausführlich Tagebuch zu führen oder Briefe an Familie und Freunde zu schreiben.
Aber das Schöne ist doch, es ist nicht nur die Freizeit, die Spaß macht. Es sind so viele Dinge. Ich bin in der Wache 2, das heißt, ich habe von 1400 bis 1700 Uhr und von 0200 bis 0500 Uhr Wache. Wache mitten in der Nacht, das bedeutet den wohl schönsten Sternenhimmel, den ich je gesehen habe. Eine kleine rote Mondsichel, die immer heller wird, je weiter die Wache voranschreitet. Großer Wagen, kleiner Wagen, Sirius, Cassiopeia, die Milchstraße und dutzende Sternschnuppen leisten mir im Ausguck Gesellschaft. Es ist still, alle schlafen, während ich das Ruder in der Hand habe und dafür sorge, dass wir nicht vom Kurs abkommen. Auch ein schönes Gefühl. Himmlisch ist es dann, nach seiner Wache zurück in den warmen Schlafsack zu kriechen.
An einem Donnerstag wie heute kann man sich auch noch auf selbst gebackene Brötchen und Nutella freuen. Oft sind es aber sehr einfach erscheinende Dinge, über die man sich hier auf der Thor freut: Duschtag, frisch gewaschene Wäsche, Erdbeermarmelade, Ausschlafen bis um 0600 Uhr, weil man Backschaft hat, eine Möwe, die sich auf das Schiff verirrt, die Möglichkeit, beim Mittagessen den dritten Nachschlag zu nehmen, Schokolade, die ich in meinen Vorräten finde, tagsüber mal auf Skiunterwäsche verzichten zu können, weil es inzwischen warm ist. Manche von diesen kleinen Dingen habe ich Zuhause als selbstverständlich hingenommen und gar nicht darüber nachgedacht. Andere Dinge habe ich Zuhause hingegen nie erlebt. Delfine auf Backbord findet man nun mal nicht auf dem Schulweg. England und Frankreich gleichzeitig zu sehen, war für mich ein weiterer dieser Glücksmomente.
Zu den wundervollen Dingen an Bord gehört auch die Gemeinschaft. Eine Zahnputzparty am Abend oder Klatsch und Tratsch am Frühstückstisch. Zusammen machen dann auch die 90% Arbeit Spaß. Man genießt (oder verflucht) die Playlists der anderen während der Backschaft, führt Gespräche über Gott und die Welt beim Toilettenputzen und dichtet Lieder während der Wache. Und so passiert es schnell mal, dass ich meine Freizeit aufgebe, um zum Beispiel die Maschine zu putzen (und dabei auf den Geschmack der Musik unseres Maschinisten komme).
Wir sind jetzt seit nicht einmal drei Wochen unterwegs und ich habe schon so viel Schönes erlebt bzw. zu schätzen gelernt. 90% Arbeit und 10% Spaß, vielleicht stimmt es ja. Fest steht, jeder Prozentteil dieser Reise war bisher wunderschön und einzigartig und ich hoffe sehr, dass es auch so bleibt.

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