Schiffssinfonie

schueler-markusDatum: Freitag, der 18.11.2016
Mittagsposition: 27°03,9’N 024°20,7’W
Etmal: 111 sm
Wetter: Lufttemperatur: 23° C, Wassertemperatur: 23,5°C, Wind: ENE 4
Autor: Markus

Wenn ich abends im Bett liege und einmal nicht müde genug bin, um gleich einzuschlafen, schweifen meine Gedanken erst mal ihre eigenen Runden. Ich denke über den Tag nach, lasse ihn noch einmal Revue passieren und überlege, was es heute Besonderes gab. Manchmal fällt mir gar nichts Wichtiges ein und ein anderes Mal denke ich den ganzen Abend über ein und die selbe Situation nach. Wie ein Film läuft sie durch den Kopf.
Doch öfter lege ich mich am Abend einfach in mein Bett und lausche den Geräuschen. Ich höre das leise monotone Summen des Deckenlüfters, der wie das Metrum in einem Lied wirkt. Immer das selbe, andauernde Geräusch. Für den einen wirkt es beruhigend, für den anderen ist es nervig.
Um Melodie in den Lüfterrhythmus zu bringen, lausche ich noch den gegen die Wand schlagenden Wellen. Tock, Tock, Tock. Mal schnell wie eine Marschtrommel, mal langsam und träge, als sei auch Poseidon selbst müde und wolle sich zur Ruhe legen.
Hin und wieder spielt die Harfe ihren Teil, immer dann, wenn ich höre, wie das Wasser sanft über das Deck rauscht. Nach links und nach rechts. Von rechts wieder nach links und wieder und wieder.
Doch auch der Wind möchte seinen Part als Bläser beitragen, er bläst, strömt in die Segel und lässt sie aufblähen. Dann lässt er wieder plötzlich nach, die Segel fallen zusammen, die Schoten, Bullen und alle anderen kurzzeitig losen Tampen schlagen umher, peitschenknallend in der Nacht. Die Schäkel fangen an zu klirren, spielen Triangel, das Segel flattert, möchte auch seinen Teil zur Musik beisteuern. Der Baum und die Gaffel wandern von links nach rechts und wieder zurück. Plötzlich höre ich wieder das Rauschen des Windes, er verfängt sich im Segel und das Solo ist aus. Es kehrt wieder Ruhe in unser Musikstück ein.
Eine kurze Verschnaufpause des Dirigenten Natur für uns Zuhörer.
Weiter geht es im Musikstück. Das Tempo wandert erst langsam, dann immer schneller von andante zu allegro. Die Musik des Ozeans peitscht nur so dahin, wandert von einem Takt in den nächsten, ich bin hin- und weggerissen, höre nur noch die immer lauter werdende Musik.
Plötzlich kann ich noch ein weiteres Instrument erkennen. Die Thor Heyerdahl selbst spielt nun mit. Sie knarrt im Takt, ich höre die Bücher in der Bibliothek sich hin und her bewegen. Ich höre in der Kombüse die Löffel, Töpfe und Pfannen gegeneinander klirren. Ich höre das ganze Schiff knarzen, wie es von der einen Welle in die nächste fällt. Ich höre das Ölzeug rascheln. Ich höre die Stifte im Zimmer rollen. Das ganze Schiff hat angefangen, das Musikstück zu begleiten. Von überall her kommen nun die Geräusche, eine wahre Flut an Tönen, doch alle harmonieren in perfekter Einstimmigkeit, ergänzen sich gegenseitig.
Lausche ich genauer, erkenne ich einzelne Akkorde, Terzen, gleiche Töne auf unterschiedlichen Oktaven. Ich bin eingenommen vom Rausch der Musik.
Doch auf einen Schlag ist das Schiff wieder verstummt. Hätte ich den Höhepunkt der Vorstellung nicht mitbekommen, könnte ich meinen, die ganze Zeit habe nur der Lüfter gesummt, die Wellen geschlagen und das Wasser gerauscht.
So aber schreibt das Meer jeden Abend seine eigene Sinfonie. Manchmal frage ich mich, wie es Mutter Natur schafft, eine solche Sinfonie zu dichten. Ich höre die perfekte Einigkeit der Töne, wie die Akkorde dazu harmonieren, vernehme den Rhythmus, der zunächst ewig lange ausgeglichen erscheint, bis sich plötzlich ein Wechsel im Tempo ereignet. Alles passt, es gibt überhaupt keine Unstimmigkeiten in der Musik. Am Abend nach einem anstrengenden Tag ist es einfach eine Wohltat, im Bett zu liegen und zuzuhören. Der einzige Unterschied zur menschlichen Musik ist, dass sie nie endet, sie herrscht immer vor, hört nie auf und variiert in verschiedenen Varianten, außerhalb der Vorstellungskraft des menschlichen Verstandes. Die nie enden wollende Tonkunst und das seichte, leichte, angenehme Schaukeln des Schiffes führen dazu, dass ich sanft in den Schlaf gesungen und gewogen werde.

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