Die Lebens- und Leidensgeschichte eines Überunterkojenschläfers

schueler-ally-kopieDatum: Donnerstag, der 24.11.2016
Mittagsposition: 25°23.0 ‚N; 039°52.2 ‚W
Etmal: 148 sm
Wetter: Lufttemperatur: 26° C, Wassertemperatur: 25°C, Wind: 4-5 E
Autor: Ally

Überunterkojenschläfer: Es ist wohl eine der bemitleidenswertesten Rollen an Bord der Thor, die man so übernehmen kann.
Bevor ich euch jedoch von den vielen mit der Ausübung dieser Rolle einhergehenden Beschwerden berichte, möchte ich euch erst einmal die grundlegende Frage beantworten, was Überunterkojenschläfer eigentlich sind. Habt ihr euch eigentlich schon mal gefragt, wo unser ganzes Gepäck gestaut wird? Tja, hier kommen unsere Unterkojen zum Einsatz. Weil man auf einem Schiff jedes bisschen Platz, das man irgendwo findet, nutzen muss, haben wir unter den unteren Kojen der Etagenbetten noch Stauraum, die Unterkojen. Man kann bei uns auch noch den eingelegten Holzboden der Unterkojen ausbauen, darunter kommen dann die Unterunterkojen zum Vorschein, in denen aber nur die Dinge gelagert werden, die wir (wie z.B. unsere Schnorchelausrüstung) wirklich ganz selten brauchen.
Schlussfolgerung: Die Überunterkojenschläfer schlafen eben auf den unteren Betten – über den Unterkojen. Und genau das wird uns (ja, ich bin eine von ihnen) zum Verhängnis.

Die Unterkojen werden in der Regel dazu benutzt, unser Gepäck zu verstauen. Unter mir befinden sich also Seesäcke und Wanderrucksäcke, gefüllt mit Dingen, die meine Zimmergenossen und ich eigentlich in nächster Zeit nicht brauchen werden. Eigentlich.
Das Problem ist, dass die Leute nie richtig einschätzen können, was sie brauchen und was nicht. Alle paar Tage kommt jemand aus deiner Kammer auf dich zu, mit der Bitte, ihn an deine Unterkoje zu lassen. Man kann diese Menschen daran erkennen, dass sie kleinlaut deinen Namen nennen und einen betretenen Blick aufgesetzt haben. Meistens müssen sie beispielsweise bei Durchschnittstemperaturen von 22°C einen Schal oder eine Mütze (oder irgendetwas anderes, das nun schon seit Wochen nicht mehr zu unserer jetzigen Temperatur passt) verstauen. Auf die Frage, warum diese Dinge nicht schon beim letzten Öffnen der Unterkoje vor drei Tagen verstaut werden konnten, folgt entweder betretenes Schweigen oder die Verteidigung, dass man mit einem plötzlichen Temperaturwechsel von 15°C gerechnet habe.

Der Überunterkojenschläfer geht daraufhin (mit den Nerven schon etwas am Ende, weil sich dieses Schauspiel viel zu oft ereignet) mit dem Mitbewohner zu seiner Koje. Dort lässt er sich, begleitet von einem Aufseufzen der Matratze (die wohl auch schon weiß, was kommt) auf sein Bett fallen. Nun müssen nämlich erst einmal die Bilder, die man sorgsam aufgehängt hatte, in Sicherheit gebracht werden. Es kann sonst leicht passieren, dass sie abreißen, wenn man die Matratze aufstellt.
Erst jetzt kann der eigentliche Kraftakt des Hochstemmens beginnen. Gemeinsam knien sich der Überunterkojenschläfer und der Mitbewohner vor die Koje und stemmen unter viel Gefluche und Gestöhne die Matratze mit ihrem Gestell nach oben. Danach spielt sich immer dasselbe ab: Der Überunterkojenschläfer versucht, den hochgehievten Teil des Bettes oben zu halten, während der Mitbewohner buchstäblich seinen Kopf riskiert und verzweifelt versucht, seinen Schal oder andere Gegenstände in einem seiner Gepäckstücke zu verstauen. Es folgt dann die Erkenntnis, dass das nicht funktioniert, solange noch zu viel anderes in der Unterkoje liegt. Der Mitbewohner versucht dann beispielsweise seinen Seesack gewaltsam aus der Unterkoje zu zerren. Unter anfeuernden Rufen des Überunterkojenschläfers, der nun bald unter dem Gewicht der Matratze und des Gestells zusammenzubrechen droht, beeilt er sich, seine Sachen in den Seesack zu verstauen. Doch der schwierigste Teil, das Zurückstauen des Seesacks, folgt erst noch.

Unter weiterem Gezerre und Geschimpfe wird versucht, den Seesack wieder zwischen die anderen Dinge, die sich in der Unterkoje dicht an dicht drängen, zu quetschen. Normalerweise wird bei dieser Gelegenheit dann doch die halbe Unterkoje ausgeräumt, da sonst keine Chance besteht, alles (inklusive des neu hinzugekommen Schals) wieder verstaut zu bekommen. Wenn vom Mitbewohner das Signal kommt, dass er fertig mit der Prozedur sei, lässt der Überunterkojenschläfer schließlich kraftlos die Matratze fallen.
Im besten Fall bemerkt man direkt hinterher, dass die Matratze schief liegt. Das bedeutet, dass die Beteiligten ihr System des Packens noch einmal überdenken und verbessern müssen. Und natürlich müssen hinterher die Bilder wieder zurückgehängt werden. Da sich dieses thorsche Phänomen circa zwei Mal pro Woche wiederholt, lebt man als Überunterkojenschläfer also in der ständigen Angst, nach seiner Unterkoje gefragt zu werden.

Wirklich kritisch wird es allerdings, wenn neben Gepäck unter dir auch Proviant verstaut ist. Es gibt Unterkojen, deren Inhalt nur aus Schokolade und Keksen besteht. In diesem Fall ist es wirklich schwer, ruhig zu schlafen. Oft liegt man nachts wach, hört das Rascheln der sich im Wellengang des Schiffs bewegenden Kekspackungen und denkt an die Massen an Leckereien, auf denen man gerade liegt. Mit wachsender Besorgnis blickt man auf seinen eigenen Süßigkeitenvorrat, der mit der Zeit schon beachtlich geschrumpft ist. Man ist also in diesem Fall schon regelrecht froh, wenn man nach seiner Unterkoje gefragt wird, weil das nämlich heißt, dass es irgendwann demnächst Schokolade oder Kekse gibt.

Oh, da wird schon der nächste Eingriff in meine Unterkoje gefordert, ich muss leider los.
Bis zum nächsten Mal und schöne Grüße an alle auf dem Festland!

Ally

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