Besondere Gedanken an einem stürmischen Tag

Schülerin Jojo

von Jojo

Das erste Mal Unterricht seit knapp einem Monat hätten wir uns sicherlich alle etwas anders vorgestellt. Am Morgen verlief alles noch recht normal, aber schon während der ersten Unterrichtsstunde wurde der Seegang deutlich stärker. Immer mehr Schüler bekamen blasse Gesichter und man merkte deutlich, wie das Schiff zu rollen begann. Die Federmäppchen flogen von den Tischen und das gerade Schreiben auf einer Linie fiel auch immer schwerer. Aus der Backschaft waren immer öfter verzweifelte Flüche zu hören und auch in der Messe fingen Teller und Schalen in den Backskisten an zu klirren. Immer mehr Wachgänger sah man in Eile den Niedergang herunterkommen und mit ihrem Ölzeug in der Hand wieder Richtung Deck verschwinden.

Im Unterricht hatten wir Schüler ganz verschiedene Gedanken: Die einen freuten sich in der warmen und trockenen Messe zu sitzen, und die anderen wünschten sich an Deck sein zu können, um dort die wilden Wellen zu beobachten. Wieder andere mussten alle Konzentration darauf verwenden, ihren Mageninhalt bei sich zu behalten.

Ich persönlich freute mich schon auf die Nachtwache, wenn auch ich wieder am Ruder stehen und die Kraft der tobenden See spüren dürfte. Das Fortbewegen auf der schwankenden Thor hatte an diesem Tag durchaus Ähnlichkeiten mit Rodeo-Reiten, denn es war gar nicht so leicht, das Gleichgewicht zu halten und ohne zu schwanken geradeaus zu gehen.

Einen positiven Aspekt hatte der starke Wind auf jeden Fall – das konnte keiner bestreiten! Zum ersten Mal seit dem Auslaufen aus Kuba segelten wir nämlich ohne Motorunterstützung. Die Segel waren gerefft, d.h. die Segelfläche war verkleinert, und trotzdem machten wir mit Unterstützung der Strömung durchschnittlich 7 Knoten gute Fahrt.

Neben dem Seegang und dem am Freitag anstehenden Geschichtstest beherrschte heute noch eine ganz andere Sache unsere Gedanken. Seit heute hingen nämlich die Ausschreibungen für die am Samstag startende Schiffsübergabe aus und nun dachten alle fleißig darüber nach, als was sie sich wohl bewerben könnten. Einige waren sich hierbei schon ganz sicher und sagten sofort, dass sie sich beispielsweise als Steuermann bewerben wollten und andere waren noch etwas unentschlossen. Diese Entscheidung war allerdings auch gar nicht so leicht, da diese Schiffsübergabe eine besondere Herausforderung für uns bereithält. Zum einen ist sie mit fünf Tagen die längste unserer insgesamt drei Schiffsübergaben und zum anderen müssen wir allein mit astronomischer Navigation steuern.

Die nötigen Fähigkeiten haben wir zuvor im Wahlpflichtfach „Astronomische Navigation“ erworben und nun stehen wir vor der großen Herausforderung, die Bermudas nur mit Hilfe der Sterne und der Sonne zu finden. Damit nicht gemogelt werden kann, werden während der Übergabe alle elektronischen Hilfsmittel, wie z.B. das GPS ausgeschaltet oder abgeklebt und alle technischen Geräte, wie Kameras oder Uhren, die über eine GPS-Funktion verfügen, müssen abgegeben werden. Damit wir die Bermudas auch erreichen, nutzten wir nun noch einmal die verbleibende Zeit, um die Berechnungen zu üben und sogar heute, bei dem starken Seegang, konnte man einige motivierte Astro-Navigatoren entdecken.

Seit dem Start dieses Blogbeitrags ist einige Zeit vergangen und nun ist es schon wieder Abend. Mittlerweile tragen die Wachen ihre Klettergurte und gleich ist es Zeit für das Abendessen. Erfahrungsgemäß wird man dort heute allerdings nicht auf allzu viele Menschen treffen, da den meisten der Appetit mit dem einsetzenden Seegang vergangen ist. Ich bin gespannt, wie sich die Wettersituation entwickelt und bin sicher, dass wir alle kommenden Herausforderungen, die unsere Gedanken heute beherrschten, wie z.B der Geschichtstest oder die Schiffsübergabe, gemeinsam meistern werden.

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