Wenn die Schüler schlafen…

Stamm Carla

von Carla

Heute übernimmt der Stamm ab 5 Uhr ausnahmsweise die Hafenwache, denn die Schüler sollen für den anstehenden Physiktest ausgeschlafen sein. Judith und ich stehen im Weckbuch für 4:45 Uhr.
Meine Kammer befindet sich direkt unter den Pollern, um welche sich die Achterleinen schlingen und somit das Schiff sicher im Hafen von Lajes / Flores halten. Beim Einschlafen knarrten die Festmacher nur angestrengt, mittlerweile ächzen sie vor Belastung.

Ich wache auf. Es ist 2 Uhr nachts, der Generator muss gestartet werden, denn die Kühllast hat mit 8 Grad Celsius ihre Obergrenze erreicht. Ich versuche wieder zu schlafen. Gegen 3 Uhr wird der Generator wieder abgeschaltet, die Kühlaggregate haben ihre Arbeit geleistet und alles wieder heruntergekühlt. Alles Frische bleibt frisch und alles Gefrorene gefroren.
Es ist 4 Uhr und ich kann nicht schlafen.

Durch das Bulleye sehe ich die Container an der Pier im Straßenlicht hin- und herziehen. Das Schiff nimmt durch leichte Böen und lange Wellen, die in den Hafen setzen, immer wieder Fahrt auf. Nach ein paar Metern stoppen die Festmacherleinen dann ruckartig auf.

Halb 5, es rumst und knallt deutlicher als zuvor. Ich höre die Tür der Kapitänskammer ins Schloss fallen und erinnere mich an Porto Santo, Madeira.

Wie erwartet, weckt Detlef den gesamten Stamm um dem „Hin und Her“ ein Ende zu verleihen. Innerhalb von 15 Minuten verlassen wir den Hafen. Die Schüler dürfen weiter schlafen, am Morgen soll ja der Physiktest stattfinden. Der Stamm ist sich einig – es ist rätselhaft wie man bei diesen Bedingungen ruhig schlafen kann.

In dunkler Nacht bauen wir also die Gangway ab und kürzen die doppelten Leinen ein. Alles läuft Hand in Hand, noch etwas müde, aber routiniert.

Leinen los um kurz nach 5, das Dinghi pusht die Thor von der Pier und hilft ihr, auf der Stelle zu drehen. Der Anker wird klar gemacht, die Leinen werden verstaut. Geschmeidig fährt das Schiff an der Steilküste von Flores entlang. Im Hintergrund erhellt der Leuchtturm abwechselnd das am Hang liegende Dorf und den weiten Atlantik in dessen Vorgarten. Wir ankern auf 12 Metern Wassertiefe, nahe der Hafeneinfahrt.

Auch ohne die Leinenproblematik (werden die Leinen zu stark und ruckartig belastet, können sie schnalzend brechen bzw. aufschmelzen) hätten wir den Hafen vor 7 Uhr verlassen müssen . Ein Containerschiff hatte sich frühzeitig auf unseren Liegeplatz angemeldet. „Ein Plan ist ein Plan, ist ein Plan!“ Wir werfen alles über den Haufen – allgemeines Wecken also erst um halb 8, Physiktest dann um 9 Uhr, etwas früher als geplant. Allerdings ohne, dass der Fahrbetrieb nebenbei aufrecht erhalten werden muss.

Judith und ich sind wieder allein an Deck, es ist halb 6, wir liegen am Anker. Das sich festgesetzte Azorenhoch schiebt lang gezogene Wellen von längst erloschenen Winden (Dünung) unter dem Schiff hindurch. Wir machen klar Deck nach der nächtlichen Hau-Ruck-Aktion. Die Backschaft und das Brötchenholteam werden geweckt. Zeit für einen Tee – der Tag wird ein länger werden: Physiktest, Vortrag, POB Übung (person over bord), Referat und die 130 Seemeilen nach Horta (Fajal, Azoren).

In der Ferne sehen wir um halb 7 das angekündigte Containerschiff, zwei Toplichter weiß und das Steuerbordlicht grün. Das Lotsenboot kommt aus dem Hafen von Lajes und hält direkt auf uns zu. Uns bleibt nichts anderes übrig; wir sollen woanders ankern, der Frachter braucht den Platz zum Wenden. Alles wieder von vorn. Detlef, Maschinist, Steuermann und Bootsmann werden geweckt, der zickige Ankermotor gestartet, der Anker gehievt und die Hauptmaschine klar gemacht.

Wie es so ist, muss die Ankerwinde erst einmal aus dem seit Panama bestehenden Dornröschenschlaf geweckt werden. Der Motor lässt sich Zeit. Das Containerschiff kommt immer näher, der Lotse wird ungeduldiger.

Am Ende ist alles gut. Pünktlich zum Frühstück liegen wir wieder friedlich außerhalb der Hafenmole als wäre nichts geschehen.

Es ist Zeit, die Schüler zu wecken. „Guten Morgen es ist halb 8 –erschreckt euch nicht wenn ihr an Deck kommt, wir haben den Hafen verlassen und liegen jetzt vor Anker –Frühstücken um 8 Uhr, Physiktest um 9 Uhr. Ungläubige Augen schauen uns aus der Koje an. Schon wieder alles verpasst!

Die Zwischenankeraktion haben die Schüler nicht mitbekommen, sie schliefen tief und fest. Schüler müsste man sein und ihren tiefen, entspannten, festen Schlaf müsste man haben! Allerdings müsste ich dann heute den Physiktest mitschreiben. Alles ist gut wie es ist.

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