Grenzen(los)?

Kim

Datum: Mittwoch, der 27.12.2017
Mittagsposition: 12° 24,2‘ N; 066° 12,9‘ W
Etmal: 154 sm
Wetter: Lufttemperatur: 29°C, Wassertemperatur: 28°C, Wind: ENE5
Autorin: Kim

„Borders? I have never seen one, but I heard they exist in the minds of most people.“
~Thor Heyerdahl

Eine Grenze. Ein Wort, das wir Menschen als klare Definition für eine Abgrenzung zweier Bereiche verwenden und doch fällt es allen so schwer, diesen Begriff in klare Worte zu fassen, da es unzählige Arten von ihr gibt und die Grenze selbst ist sozusagen die ‚graue Zone‘ – der Zwischenbereich zwischen dem Du und Ich, dem Richtig und Falsch, dem Schwarz und Weiß.
Die territoriale Grenze – ein jahrtausendealtes, oft willkürlich gezogenes Konstrukt, um das Wir von dem Ihr abzugrenzen. Ein Mittel, das vielen Menschen immer noch viele Probleme bereitet und ihnen Angst macht.
Eine weitere vom Menschen verstärkte Grenze ist die moralische, die in Form von Regeln und Maximen klar vorgegeben zu sein scheint und einen Versuch darstellt, unser Zusammenleben positiv zu gestalten. Hierbei gibt es die größte graue Zone. Was wir als Richtig oder Falsch erachten ist abhängig von der Zeit, Kultur und Lebenssituation, in der wir leben.
Zusätzlich gibt es noch die seelische Grenze, die den Umgang mit anderen definiert und die Art von Trennlinie ist, die jeder Mensch individuell und unbenennbar für sich selbst ausmacht.

Doch was würde passieren, wenn es all diese Grenzen nicht gäbe?
Dieses ganze Konstrukt ist so fragil, dass es oft nur einen Auslöser braucht, um es zusammenstürzen zu lassen, wie unzähligen Kriege bewiesen haben: eine territoriale Grenze wird mir nichts dir nichts verschoben und moralische und seelische Grenzen einfach über Bord geworfen und doch bestehen wir Menschen darauf, sie beizubehalten.
Der Ordnung zuliebe.

Würde eine grenzenlose Welt funktionieren?
Wir auf unserem Schiff in unserer eigenen kleinen Welt merken auf dem Meer nicht, wenn wir eine Grenze überschreiten. Es gibt keine teure Mautstelle, keinen linksfahrenden Straßenverkehr, keine anders sprechenden Leute, keine veränderte Landschaft – rein gar nichts. Es funktioniert. Auf unserer Reise von Kiel, über England, nach Madeira, Teneriffa, mit Abstecher auf den Kap Verden, in die Karibik und nun nach Panama, haben wir keine einzige sichtbare Grenze überschritten und doch waren wir einfach plötzlich in einem anderen Land. Eine Welt ohne Landesgrenzen ist einfach wunderbar!

Wir besitzen auf dem Schiff trotzdem eine andere territoriale Grenze: Unsere Reling. Wir können uns oft über Wochen nur auf wenigen Quadratmetern bewegen und unsere Welt endet am Schanzkleid. Und doch fühlt man sich auf dem Klüverbaum stehend und in den Horizont blickend fast…..fast grenzenlos. Ist das wirkliche Grenzenlosigkeit? Nein, natürlich nicht, da immer wieder diese Stimme in deinem Kopf sagt: „Du darfst nicht ungesichert auf den Klüverbaum“ (Nicht, dass ich jemals ungesichert auf dem Klüverbaum gewesen wäre).

Man kann auch persönliche Grenzen im positiven Sinne überschreiten. Wir tun dies hier auf der Thor inzwischen ständig, indem zum Beispiel wir Mädchen immer mindestens zu zweit duschen, um Wasser zu sparen. Oder wir alle bereitwillig und ohne das Gesicht zu verziehen, die Glocken in den Toiletten säubern, fast alle ohne Angst ins Rigg klettern, Verantwortung füreinander übernehmen und noch Vieles mehr, womit wir zuvor Schwierigkeiten gehabt hätten. Die Vorstellung, nach dieser Reise wieder alleine in einem Raum zu schlafen, bereitet einem Unbehagen – Viele haben diese Grenze der Privatsphäre beiseite gelegt und es fühlt sich…. einfach nur total entspannt und cool an.

Die meisten Grenzen sitzen in unserem Kopf und wenn wir dazu gezwungen werden, aus unserer Komfort-Zone heraus zu treten, verschieben sich unsere Grenzen und wir sind zu Dingen fähig, die wir nicht für möglich gehalten hätten.

Heyerdahl meinte genau diesen Umstand in seinem Zitat:
Man kann keine Grenzen sehen, weder territoriale noch Grenzen anderer Art.
Man kann dort nur die äußere unnatürliche und vom Menschen erschaffene Markierung sehen, die allerdings nichts mit einer ‚wahren‘ Grenze zu tun hat. Alle anderen Grenzen existieren tatsächlich nur in den Köpfen der Menschen, die Regeln aufstellen, um Ordnung zu wahren oder herzustellen. Sie setzen sich selbst seelische Grenzen, um sich den Umgang mit anderen zu erleichtern oder auch zu erschweren und bestimmen für sich eine Grenze, die sie ausmacht.

Unsere Reise führt uns über mehrere Landesgrenzen, die wir überhaupt nicht bemerken, aber wir fühlen jeden Tag, wie wir eigene innere Grenzen überschreiten, neu ausloten und an den Herausforderungen wachsen.

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