Heute beginnt wieder der Unterricht und deshalb gehen wir nur noch halbe Wachen. Nach dem Wachwechsel übernehme ich um 08.00 Uhr die erste Schicht unserer Wache am Ruder. Mir wird das Ruder übergeben und wie immer der Kurs mitgeteilt, den ich dann auch wiederhole, um sicher zu gehen, dass ich die Zahlen auch richtig verstanden habe. Dort stehe ich nun also und lasse meinen Blick vom Kompass, zurück über den Ruderstandsanzeiger und dann hinaus aufs Meer gleiten.
Meinen Gedanken lasse ich ebenso freien Lauf und ich muss an den schönen Text von Hanna von vor ein paar Tagen denken, den sie uns zum Abendessen vorgetragen hat. Er bezog sich darauf, dass wir nun schon über die Hälfte der Reise hinter uns haben und wie unwirklich diese Reise doch manchmal erscheint, dass man ab und an einfach einmal stehen bleiben muss, um zu staunen.
Man könnte meinen, dass nachdem wir ja nun schon wie gesagt die Hälfte hinter uns haben manche Dinge alltäglich geworden sind, aber Tage wie heute bestätigen das Gegenteil: Wir haben zwar die erste Hälfte schon hinter uns, aber dennoch die zweite noch vor uns.
Kurz vor dem Mittagessen heißt es auf einmal wieder: “Delphine auf Steuerbord!“ Ich hatte zwar gerade Reinschiff mit Bene, Christoph und Hanna, aber um Delphine zu sehen, wird das doch gerne einmal unterbrochen. Einige der Anderen standen schon vorne auf der Back und hielten ihre Blicke gespannt aufs Wasser gerichtet. Mehrere der Meeressäuger sprangen gleichzeitig aus dem Wasser und man wusste gar nicht wo hin man sehen sollte. Eine so große Schule von etwa 200 Tieren hatten wir noch nie gesehen und sie zogen uns alle in den Bann. Obwohl wir ja nun schon so oft Delphine gesehen haben, ist das wieder einer dieser Momente, in denen man einfach einmal innehalten muss, um zu staunen. Da ist es auch ganz egal, ob man nun auf der Back steht und von den Wellen überspült wird, man nass bis auf die Knochen wird und der Wind einem die Haare vor die Augen weht. Man steht einfach nur da und genießt den Augenblick.
Wenn dann auf einmal sogar der Unterricht unterbrochen wird und wirklich alle auf dem Deck versammelt sind, sieht man auf einmal auch wie unterschiedlich wir diese Delphine wahrnehmen und da frage ich mich wie diese wohl uns sehen.
Keiner von ihnen holt seine Kamera raus und knipst ein Bild nach dem anderen. Sie machen auch nicht „ohh“ und „ahh“, sondern springen einfach nur wie sie gerade lustig sind aus dem Wasser. Ob sie überhaupt Notiz von uns nehmen? Geben sie bewusst, oder mit Absicht eine solche Show zum Besten?
Diese Delphinschule heizt natürlich auch den Redebedarf bei uns an: sind die Delfine etwas weiter quer ab wirklich so viel kleiner und könnten sie ein Kindergarten sein? Ganz viele unterschiedliche Fragen werden gestellt und bis zum Mittagessen bleiben die Delphine Thema Nummer eins. Dabei ist anzumerken, dass wir wirklich noch nie so lange von ihnen begleitet wurden, dass man sogar noch mehrere Stunden nach der ersten Sichtung vereinzelte aus dem Wasser springen sah.
Jeder von uns macht sich so immer seine eigenen Gedanken. Was nun die Delphine aber wirklich über uns denken, das bleibt ein Geheimnis. Sicher ist jedoch, dass sie in sämtlichen Tagebüchern erwähnt werden, obwohl sie eigentlich keine so große Seltenheit auf unserer Reise mehr sind. Trotzdem nehmen wir sie nicht selbstverständlich und sind fast so begeistert, wie beim ersten Mal.
Denn es ist egal, dass die Hälfte schon hinter uns liegt, wir wissen alle, dass ein großer Teil auch noch vor uns liegt.