Vom Segeln

Michael

Datum: Samstag, der 17.03.2018
Mittagsposition: 36° 32,7‘N; 040° 04.7‘W
Etmal: 155,4 sm
Wetter: Lufttemperatur: 20,5°C, Wassertemperatur: 19°C, Wind: SW 6

Heute ist der 17.03.2018, Tag 147. So viele Tage unserer Reise sind verstrichen, und fast genauso viele Blogeinträge sind entstanden. Und doch noch keiner über das, was wir rund um die Uhr versuchen und zurzeit auch schaffen: Segeln!

Mit dem Segeln meine ich nicht die Stellung der Segel zum Wind, das Ausführen von Manövern oder das Berechnen der richtigen Kompasskurse. Das würden wahrscheinlich viele mit Segeln assoziieren. Mit Segeln meine ich, auf ein wackliges Schiff zu steigen, den festen Fußboden des Landes zu verlassen und aufs weite Meer hinaus zu fahren. Das ‚Gefühl Segeln‘ ist entscheidend.

Es gibt einen Spruch: „Segeln ist wie sich mit Regenklamotten unter die kalte Dusche zu stellen
und dafür zu bezahlen“. Das mag für den äußeren Betrachter vielleicht so scheinen. Ja, vielleicht verstehen Menschen vom Land nicht, wie man es tagelang auf einem Schiff mitten auf dem Atlantik aushält, und einem das sogar noch Freude macht. Aber das Leben auf einem Segelschiff unterscheidet sich so stark vom Leben an Land, dass Tatsachen, wie zum Beispiel, dass man von tausenden Kilometern von Wasser umgeben ist, eher beruhigend als beängstigend wirken. Ja, beruhigend. Das ist, glaube ich, auch das Gefühl, wenn ich nachts im Ausguck stehe und eine halbe oder ganze Stunde oder noch länger den Horizont betrachte. Die Wellen, wie sie sich aufbauen, das komplette Schiff anheben und wieder absenken. Die Gischt, die über das Deck spritzt. Das Schiff, wie es nach Backbord krängt, nach Steuerbord und wieder nach Backbord.

An Bord spielen viele Dinge eine andere Rolle als an Land. Zum Beispiel die Zeit.

Heute ist Samstag. Normalerweise stellen wir heute die Uhr um. Von UTC-4 zu UTC-3. Aber da der Tag heute schon so voll ist, machen wir das doch lieber morgen. Oder hätten wir es gestern machen sollen? Das ist ja eigentlich egal. Wir können unsere Bordzeit so stellen, wie wir das wollen.

Zwar verschiebt sich dann etwas am Tagesablauf oder an der Schlafenszeit, aber ist das schlimm?
Dann beginnt der Unterricht eben (gefühlt) schon um 7.30 und nicht um 8.30 Uhr. Mittagessen ist
um 11.00 und Abendessen um 17.00 Uhr. Am Tagesrhythmus würde das nichts verändern. Es sind nur
Zahlen in unseren Köpfen, aber das ist ja nicht so wichtig. Erst wenn wir mit anderen Menschen in Kontakt treten wollen, ist es entscheidend, wie spät es ist. Und wenn wir wissen wollen, wo wir uns befinden. Um unseren Projektleiter Martin zu zitieren: „Wir können erst wissen, wo wir sind, wenn wir wissen, wann wir sind.“

Doch spielt es überhaupt eine Rolle zu wissen, wo man ist? Na klar gibt es Pläne, die uns
vorschreiben, zu den Bermudas und Azoren zu segeln. Aber das sind nur Zeugnisse unseres Handelns
an Land. Die Entscheidung, wohin man segelt, fällt erst auf See: „Wer den Hafen nicht kennt, in
den er segeln möchte, für den ist kein Wind günstig“. Keine Strömung verläuft in die bessere
Richtung. Das ist ein weiteres Gefühl, das mit dem Segeln einher geht: Die Freiheit. Auf dem
offenen Meer, da gibt es keine Straßen, keine Autobahnen oder Zugstrecken. Auch keine Ländergrenzen. Der Segler hat die Freiheit, zu dem Ort zu segeln, zu dem er möchte. Natürlich
möchten wir zu den Azoren und auch wieder zu unseren Familien und Freunden nach Hause, und
deshalb segeln wir dort auch hin. Und dennoch singen wir immer wieder: „Auf den Meeren sind wir
ewig, frei und unbeugsam.“ Ja, Freiheit, das ist Teil des ‚Gefühls Segeln‘.

„Man lernt das Matrosenleben nicht durch Übungen in einer Pfütze“ – Franz Kafka

Ja, die Seefahrt lehrt. Das Segeln lehrt. Es lehrt den Respekt vor den Naturgewalten. Im
Gegensatz zu den anderen Arten von Schiffen fährt ein Segelschiff in zwei Medien. Beziehungsweise eher mit zwei. Es fährt im Wasser und durch den Wind. Die Aufgabe des Seglers ist also, das Schiff an diese Naturgewalten anzupassen. Meistens gelingt das sehr gut. Doch natürlich gibt es einmal Sturm, hohe Wellen, Starkwind. Es gibt auf See Situationen, die man vielleicht als beängstigend empfinden kann. Aber im Nachhinein, glaube ich, fühlt man Respekt. Respekt vor der Situation, vor der Natur.

All diese Aspekte machen neben den täglichen Teamaufgaben, die eine wunderbare Gemeinschaft
bilden, das Seglerleben aus. Ich glaube jeder, der schon zur See gefahren ist, kann mir darin
zustimmen.

Ich weiß nicht, ob dieser Text für Menschen auf dem Festland verständlich war. Als ich gestern
Nacht im Ausguck stand, dachte ich genau über dieses Thema nach. Dazu inspiriert hat mich Martin, der unser Besanschot-an regelmäßig durch wunderbare und sehr nachdenkliche Texte bereichert.

Vielen Dank!

Ich wünsche meinem Opa alles Gute zum Geburtstag und einen schönen und gesunden Start ins neue
Lebensjahr.

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