Datum: 18.03.2019
Mittagsposition: Flores
Etmal: 126 sm
Wetter: Lufttemperatur: 18,5 °C, Wassertemperatur: 17,5 °C, Wind: SSE3
Autorin: Theresa
Es ist kalt und dauernd feucht. Es schaukelt permanent und der starke Wind macht das Leben quasi unmöglich für sie.
Sie hat durchgehalten bis jetzt. Ja, vier Monate verbrachte sie bereits an den Besanwanten der Thor Heyerdahl, weil sie zu Beginn der ersten Atlantiküberquerung liebevoll als „ewiger Begleiter“ unseres Abenteuers und mit der Hoffnung, wenigstens eine Pflanze an Bord zu pflegen, mit einer Schnur aufgehängt wurde. Aber damals herrschte noch ein anderes Klima im Umfeld von „Planty“. (Planty ist ein Dickblattgewächs, das in einer halben, ausgehöhlten Kokosnuss-Schale lebt und von Kathrin auf die Thor mitgenommen wurde.)
Fast jeden Tag gab es immer Sonne für sie und einem wirklich unangenehmen Sturm war sie bis Bermuda auch noch nicht ausgesetzt. Wenn es für sie unbequem wurde, so hielt sie mit uns durch. Hätte da nicht das gefürchtete Bermuda-Dreieck auf sie gewartet.
Als wir am 3. März aus Bermuda ausgelaufen sind, um den Nordatlantik zu überqueren und Horta auf der portugiesischen Hochseeinsel Faial auf dem Nordatlantik anzusteuern, erlitt Planty aufgrund zu starken Windes und zu hoher Dünung mit starkem Regenfall lebensgefährliche Verletzungen. Wache 3 beobachtete diese Tragödie mit Bedauern und litt in den wenigen Sekunden, in denen Planty vom Wind zerfetzt wurde, mit. Von Trauer bewegt, beschloss Paul, sie in die Intensivstation in Kammer 9 zu geben.
Dort verbrachte sie die letzten Wochen, versuchte neue Kräfte zu sammeln und die traumatischen Erfahrungen vom Sturm zu verarbeiten. Vor wenigen Tagen hängte Paul sie unter dem Oberlicht im Deckshaus auf, in der Hoffnung, sie könne sich nun wieder mit Hilfe des Sonnenlichts aufpäppeln. Doch es sieht hoffnungslos aus. Bis jetzt hat sich nichts getan.
Da sie unsere einzige Pflanze an Bord war, hatte sie für uns alle eine große Bedeutung und wir trauerten in den letzten Tagen sehr viel um unsere einzige Pflanze, die uns in den Wochen, in denen wir ununterbrochen von Blau umgeben wurden, an saftige Pflanzen und lebendig sprießendes Grün erinnerte. Begleitet von einer durchgängigen Bedrücktheit und mit der Angst, den grünen Farbton aus dem Kopf zu verlieren, erblickten wir in tiefster Not am 18. März eine Insel, die von weiter Ferne bereits so dicht und so grün bewachsen schien, dass man meinen könnte, ein riesiger Moosklotz wäre mitten im Atlantik platziert worden.
Doch es handelte sich bei dieser grün sprießenden Insel nicht um die Insel Faial, sondern um die westlichste Insel der Azoren (und somit die westlichste Insel Europas): Flores. Dies bedeutet soviel wie „Blumen“, was (nicht nur) uns unser Portugiesisch-Experte Titus übersetzen konnte. Wir steuerten also die Blumeninsel an. Je näher wir der Insel kamen, desto grüner und bewucherter kam sie uns vor.
Begeistert und voller Faszination ankerten wir in einer Felsenbucht. Trauer und das bedrückte Gefühl waren plötzlich vergessen, denn wir ahnten bereits, dass unzählige Blumen und grüne Wiesen warteten, von uns bestaunt und betreten zu werden. Am selben Tag verkündete Johannes, dass der morgige Tag dafür genutzt werden sollte, die Insel genauer zu erkunden und so bildeten sich insgesamt sieben Gruppen, die sich unterschiedliche Gegenden vornahmen.
So machten wir uns am nächsten Tag alle auf den Weg, und anders als sonst: anstatt in das ewige Blau ging es in das weite Grün, das wir überall, wo wir hinblickten, auf der Insel sehen konnten. Während wir auf ruhigen Landstaßen liefen, genossen wir die stille Atmosphäre und lauschten dem Wind, der sanft über die weiten Wiesen und Blumenfelder strich und sie damit in seinem ungleichmäßigen Rythmus hin und her wog. Einige von uns besuchten Caldera-Seen und Wasserfälle oder machten eine Wanderung durch die artenreiche Natur von Flores. Nach dem ereignisreichen Tag kamen wir zu einem leckeren Abendessen (es gab Lasagne!) zusammen und erzählten von unserem Tag. Die Gesichter, die noch vor kurzem von Traurigkeit gezeichnet worden waren, strahlten vor Zufriedenheit und man hätte sich einbilden können, dass das satte Grün noch in den Augen der KUSis leuchtete. Alle erzählten von einem pflanzenreichen Tag und von vielen verschiedenen Pflanzenarten, die sie im Laufe des Tages entdeckten.
Ein Meter hohes Moos, in dem man seinen kompletten Arm verschwinden lassen konnte, bunte Blumenfelder, Minze und Ingwerwurzeln oder saftige Weiden, die sich über hektargroße Flächen erstreckten, färbten unsere meeresblau gewordenen Augen wieder ein wenig grün und die Trauer über Planty wurde mit dem Anblick dieser prachtvollen Natur geheilt.