35 Objekte: Der Magnet – Ein Schiff wird magnetisiert

Christoph

Datum: 08.04.2019
Autor: Christoph

Da hängt er, im Schacht zum Oberlicht: ein silbriger Würfel mit etwa vier Millimeter Kantenlänge. Ganz solide und schlicht ist er und er lässt sich nicht mal vom Seegang beeindrucken. Vor etwa einem halben Jahr im Internet gekauft, fährt er seitdem mit den Kusis um die Welt und hält alles Mögliche fest.

Ganz winzig bis immerhin 4 cm groß, von würfel- bis kugelförmig, von zersplittert und verrostet bis edelstählern und aufpoliert, mit und ohne Plastikumhüllung, mit Haken, Karabinern und Klammern, mit Schriftzügen oder Smileys auf der Vorderseite – dies sind alles Formen von Magneten, die man auf der „Thor Heyerdahl“ antreffen kann, und zwar überall auf dem Schiff. Wenn man in der Unterkoje nach neuem Mehl gräbt, findet man Magnete, in der Messe, im Deckshaus, in der Navi und an Deck sowieso und selbst an der Spitze des Schonermastes kann man Magneten sehen (okay, ich gebe es zu, den am Schonermast habe ich extra für diesen Blog dort oben angebracht). Das ganze Schiff strotzt vor Magneten.

Aber woher kommen diese Tausende? Wahrscheinlich haben sich viele einfach über die Jahre angesammelt, andere, besonders die in der Navi, wurden eines schönen Tages erworben und gehören seitdem dem Schiff. Der größte Teil aber kommt von den Kusis selbst. Als im Sommer auf der Packliste der Punkt „MAGNETE – die Thor ist aus Stahl“ auftauchte, wurden Sammelbestellungen in Magnetinternetshops getätigt und die örtlichen Schreibwarenläden geplündert. Außerdem ist ein ganzes Bataillon an Magneten mit dem Schriftzug „David“ versehen. Sie müssen wohl als Werbegeschenke die Reise angetreten haben.

Besitzer dieser Magnete sind alle. Jeder Kusi besitzt mindestens 10 (gefühlt) und wahrscheinlich auch fast jedes Mitglied des Stamms. Ich hatte das Glück, mit einem dieser stolzen Besitzer ein Interview führen zu können:

Ich: Guten Tag, Paul. Du bist ja deines Zeichens Physiklehrer und Besitzer vieler Magnete. Wie viele hast du denn?
Paul: Das ist eine schwere Frage, ich habe nämlich ganz kleine Magneten und sogar ein Spielzeug mit Magneten. Wahrscheinlich 50. Oder so. (Er fängt an zu zählen) Nein, mehr.
Ich: Wie viel ist denn ein Magnet wert? Natürlich in Bordwährung Schokolade!
Paul: Das ist abhängig von Größe und Stärke des Magneten. Zum Beispiel bekommt man für einen mit Haken eine Tafel, aber von Fotomagneten muss man schon 10 hinlegen, auch für eine Tafel – oder sogar 13 Fotomagnete für eine deutsche Schokolade. Manchmal finde ich auch Schnäppchen, wenn die Schüler viel zu billig verkaufen…
Ich: Was ist denn deine Lieblingstätigkeit mit Magneten?
Paul: Dinge an die Decke hängen – das ist immer gut: Bommeln, meine Trinkflasche, Wachequipment, (lacht) saubere Unterwäsche…
Ich: Ich habe von Dir schon etwas von „Hochzeitsmagneten“ gehört. Was hat es denn damit auf sich?
Paul: Ja, ich habe von meiner Mutter zur Hochzeit auch Magneten geschenkt bekommen. Vier mit Karabiner, welche in Sternform und in Mondform oder sogar Kleeblätter.
Ich: Zurück zur Ernsthaftigkeit: Wird nicht unser Kompass von den vielen abgelenkt?
Paul: Als Physiklehrer sage ich ja. Aber die Ablenkung ist verschwindend gering. Man kann allerdings den Rudergänger super ärgern, indem man den Kompass gezielt ablenkt… (grinst versonnen).
Ich: Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch. Hast du noch einen magnetisierenden Fakt?
Paul: (überlegt) Obwohl die Türen nach Holz aussehen, sind sie trotzdem magnetisch!
(Er fängt sofort an mit den Schülern zu dealen)

Wie unser Experte schon angedeutet hat, sind diese Magnete zum Aufhängen von ganz viel zu gebrauchen. Hier nur ein paar Beispiele: Wetter- und Seekarten, der Dieselverbrauch der letzten 24 Stunden in der Navi, allerlei Aushänge in der Messe, Handtücher, Kokosnüsse, ganze Wäschesäcke, Panettone, Hängeregale, viele, viele Bilder, Briefe, Wäsche zum Trocknen, Schmuck, Taschenlampen, Molas, Lichterketten, Minzsträußchen… Davon sind besonders die Bilder hervorzuheben, mit denen manche Kojenwände regelrecht tapeziert sind, tapeziert mit Erinnerungen von Zuhause.

Die Magnete sind in vielen Fällen nützliche Gebrauchsgegenstände und für die Informationsweitergabe an Bord unerlässlich, aber sie sind auch ein Symbol vom Festhalten der Erinnerungen an Zuhause. Klar, Magneten sind zum Festhalten da, aber auf der Thor halten sie nicht nur einen Fetzen Papier, sondern fast alles, was man von Zuhause vermisst. Bestimmt ist es nicht nur deswegen so, dass, wenn man einen Ex-Kusi nach Tipps fragt, was man mitnehmen soll, die erste Antwort ein lautes „Magnete“ ist. Für mich war das erst ein großes Fragezeichen, aber wenn man sich überlegt, wie unser Schiff ohne alles, was von den Magneten gehalten wird, aussähe, dann hat man einen Rohbau vor sich. Und wer will schon in einem kalten, kargen Rohbau wohnen? Unerlässlich für ein schönes Schiff ist also der Magnet.

Im Gang zwischen den Kammern hängt, von Magneten getragen, eine Überseglerkarte des Nordatlantiks. Sie ist dazu da, um sich jederzeit ein Bild von dem aktuellen Fortschritt machen zu können. Wie wird wohl unsere Position markiert? Richtig, ein kleiner, runder, silberner Magnet symbolisiert die Thor Heyerdahl auf ihrem Weg durch den schier unendlichen Ozean. Mit ihr fährt auch der kleine Würfelmagnet vom Anfang. An ihm hängt ein Sträußchen wilde Minze von der kleinen Azoreninsel Flores. Es verströmt einen frischen Duft und abends kann man zwei Blättchen abreißen und zu einem Tee aufbrühen. Danke für das Festhalten, lieber Magnet!

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