Vorwort
Um folgenden fiktiven Brief eines kleinen Thor-Bewohners zu verstehen, muss man wissen, dass es bei uns morgens unter anderem ein Schüsselchen Obstsalat mit Müsli und exakt 2 Löffeln Joghurt zum Frühstück gibt. Besagter Joghurt wird aus einem großen 5-10 l Eimer geschöpft. Dazu braucht es einen gewöhnlichen Esslöffel. In unachtsamen Momenten kann dieser Schöpflöffel schnell mal abrutschen und im Joghurteimer verschwinden. Passiert das gleich mehrere Male in Folge, kommt es zu folgender Geschichte…
São Vicente, 30. November 2019
Liebe Mama, lieber Papa,
ihr habt mich schon oft gefragt, wie das Leben auf der Thor eigentlich so sei. Ehrlich gesagt, ziemlich schön und abwechslungsreich.
Die meiste Zeit findet man mich in den Händen hungriger KUSis, die eifrig meinen Kopf mit köstlichen Leckereien befüllen, um ihn anschließend in ihre gierigen Münder zu stecken, mit ihrer Zunge jeden Speiserest abzulecken und mich dann zurück in das bunte Becken auf einer weißen Scheibe – sie nennen es Teller – zu führen. So geht das Tag ein, Tag aus. Ich frage mich manchmal, ob die Truppe jemals satt wird!?
Immerhin, meine Füllung wird fleißig variiert: mal gibt es Suppe – dafür ist es mittlerweile aber doch etwas zu heiß – mal Lasagne, mal Reis mit Sch… (entschuldigt meine Wortwahl, aber so gut kann ich das nicht erkennen) und zu guter Letzt, mein Favorit: Rote-Beete-Meerrettich-Gnocchi-Auflauf. Allerdings musste ich mit Erschrecken feststellen, dass dieser rote, fast schon magentafarbene Genuss nicht so gut ankam bei der Meute. Also an mir kann’s nicht gelegen haben.
Egal, was es zu futtern gibt, ich bin nicht lange schmutzig. Sobald die 50 hungrigen Mägen gefüllt sind, geht für mich der Spaß erst richtig los. Ich darf baden! Bis vor kurzem war das ein tägliches Privileg, das nur mir und meinen Artgenossen zustand. Mittlerweile stürmen allerdings vor allem zur Mittagszeit, vorzugsweise kurz vor Unterrichtsbeginn, große KUSi-Massen zum Vorschiff, um eine Abkühlung in ihrem so genannten BacKUSi zu genießen. Was aber nach wie vor nur mir und meinen Freunden zusteht, ist die anschließende Süßwasserdusche – sogar mit extra gutem Frosch-Duschgel.
Das beste am Duschen ist, dass ich keinerlei Aufwand dafür betreiben muss. Ich werde liebevoll in einem warmen Schaumbad mit Schwamm gewaschen. Einziger Nachteil: Ich habe nie Privatsphäre und muss nahezu immer mit meinen Freunden, auch den Zackigen und Scharfen zusammen duschen. Nach dem Schaumbad erlebe ich eine Art Dampfbad, denn ich liege für etwa zwei Minuten in ultraheißem Wasser, bis ich zum Abtropfen auf die Saunabank liegen darf. Die ist etwas hart, da aus Edelstahl, aber Holz ist an Bord ein kostbares Gut. Zugegeben, noch schöner wäre ein anschließendes Sonnenbad, aber das wurde mir bisher noch nicht gegönnt. Stattdessen genieße ich ein sauberes, nicht immer ganz trockenes Handtuch, welches mich auf Hochglanz bringt.
Mein Arbeitseinsatz ist damit beendet und ich werde zurück in meine Kammer, die Messe, hat aber nichts mit Kirche zu tun, gebracht. Der Weg dahin ist allerdings riskant. Also schmeißt oder legt man mich zusammen mit meinen Freunden in eine graue Wanne. Wenige Minuten später geht die wilde Heimfahrt los. Losgelöst vom Boden werde ich einen Stock tiefer gebracht. Dabei kann es ganz schön abenteuerlich zugehen. Wenn ihr schon einmal Schiffschaukel gefahren seid, wisst ihr, was ich hier täglich erlebe.
Die Bettensituation in meiner Kammer ist ähnlich zu der im PK (Personalkammer), nur noch extremer: mehr Köpfe als Betten. Aber da sind meine Freunde und ich sehr flexibel, wir tauschen durch oder teilen uns eine Ecke der Koje. Immerhin stehen zwei Kojen zur Auswahl: Die dunkle, eckige Koje Backbord Mitte oder die runde, mobile Koje quer oben. Bei Letzteren kam es in den vergangenen Tagen öfters zu Verwirrungen, da man uns mit den Scharfen (cuchillo statt cuchara!?) verwechselte. Alles nur, weil ein paar übermotivierte KUSis überall seltsame Wörter angebracht haben… das kam mir alles sehr Spanisch vor.
Wenn ich nachts dann in der Koje in den Schlaf geschaukelt werde, träume ich von außergewöhnlichen Dingen… und neulich bin ich quasi mitten im Traum aufgewacht und er was Realität: Für einen Tag Kleopatra sein. Was das bedeutet?
Naja, so ein bisschen Kleopatra-Feeling bekommt mindestens einer oder eine von uns, wenn er oder sie morgens auserwählt wird, um Joghurt zu servieren. Dabei kommt aber ja nur der Kopf in den Genuss des weißen Wundermittels. Unser großer Traum seit Wochen ist es, ein Ganzkörperbad zu genießen, um die volle Wirkung des Milchprodukts zu erleben. Dieser Traum ging letzte Woche in Erfüllung:
Morgens um 7:20 Uhr durfte mein bester Freund Löffi den Dienst als Joghurtschöpfer antreten. Es dauerte nicht lange, da griff der Backschafts-KUSi, oder vielleicht war es auch ein Stammi, erneut in unsere Koje und riss meine Freundin Löffine ohne zu wecken aus dem Schlaf. Sie durfte die folgenden Müslischüsseln füllen. Keine zwei Minuten später wurde auch noch Löffus zum Einsatz geweckt. So ging es immer weiter bis ich als Fünfter an der Reihe war. In der Kammer waren alle schon total nervös und fragten sich, wo die anderen nur geblieben waren. „Die werden doch wohl nicht über Bord geflogen sein!?“, fragte Löffhilde, die jüngste unter uns panisch. Kurze Zeit später war mit alles klar, denn auch mich traf das Ungeschick eines KUSis und ich wurde im großen Joghurtbad versenkt.
Jubelnd vor Freude tauchte ich schnell ab bis zum Boden. Dort traf ich auch auf Löffi, Löffine, Löffus & Co. Das war ein Riesenspaß! Am Ende waren wir zu acht in dem weißen Cremebad! Das hätte ich nie erwartet oder gar für möglich gehalten. Unter uns gesagt: ich hatte die Truppe hier echt etwas geschickter und cleverer eingeschätzt. Achtmal Loslassen!? Das ist ja wie acht Patenthalsen fahren. Sowas passiert doch einmal und nie wieder!?
Uns jedenfalls hat das Joghurtbad sehr gefallen und gemundet. Leider war der Spaß um 9 Uhr dann vorbei. Da kam ein Stammi mit Löffibert und fischte uns allesamt raus… ich glaub ja das war die doofe Spanischlehrerin, die auch unsere Kojen beschriften lassen hat.
Was danach kam, könnt ihr euch ja denken: Schaumbad!
Bis bald,
eure Löffana