Es ist Donnerstag, der 5.12.2019. Um 16 Uhr Bordzeit (17 Uhr UTC) stehen wir auf der Position 14°21’N und 035°55’W. An Bord sind alle wohlauf und genießen den warmen ENE-Wind, dessen gut 5 Bft uns in Richtung Karibik treiben. Am Kompass liegen 270° an, aber wegen der nach Westen hin zunehmenden Missweisung von derzeit 14°W ergibt sich daraus ein Kartenkurs von 256°.
Seit wir am späten Samstag nachmittag noch in der Bucht von Mindelo die Segel gesetzt haben, ruht unsere Hauptmaschine. Unser Maschinist Simon ist dennoch den ganzen Tag beschäftigt, da der Bereich Maschine und Technik einen von drei Praktikumsbereichen darstellt. So erhalten auch in dieser Woche mehrere Schüler einen intensiven Einblick in die übrigen Aufgabenbereiche des Maschinisten, sei es das Starten und Absetzen des Generators, der Einsatz der Feuerlösch- bzw. Seewasserpumpe, die unseren Pool auf dem Vordeck versorgt, oder das tägliche Abschmieren und Kontrollieren der Ruderanlage. Auch Bootsmann Fabian ist mit durchgehend zwei Praktikanten unterwegs, um stehendes und laufendes Gut zu kontrollieren, diverse Gegenstände umzustauen und das Rigg zu pflegen (heute stand das Fetten der Lederbeschläge auf dem Programm). Unsere Proviantmeisterinnen Janne und Vanessa kümmern sich mit ihren Praktikanten um das Wohl der Besatzung, wobei die heimatlichen und adventlichen Momente – es gibt inzwischen selbstgebackene Plätzchen zum Kaffee – keineswegs nur das leibliche Wohlbefinden stärken. Kurz, es ist Alltag auf der Thor Heyerdahl.
Gestern allerdings wurde unser Alltag durchbrochen: Anläßlich der gestrigen Trauerfeier für unseren unerwartet verstorbenen langjährigen Thor Heyerdahl-Kapitän Ulrich Lamprecht in Kiel wurde hier an Bord am Tag die deutsche Flagge auf Halbmast gesetzt und vor dem Abendessen eine Minute der Stille für ihn abgehalten. Uli war Kapitän und Seelotse im NOK und segelte noch als Leichtmatrose auf der Viermastbark „Passat“. Als ablösender Kapitän und Steuermann war er auf allen bisherigen KUS-Reisen auf der Thor Heyerdahl mit dabei. Darüberhinaus hat er u.a. die Dreimastbarken „Alexander von Humboldt 1“ und „- 2“ als Kapitän gefahren. Unser herzliches Beileid geht an seine Frau und seine Familie.
Seit dem Auslaufen von den Kapverden haben wir nur zwei Fahrzeuge gesehen, und auch diese hauptsächlich als Symbol auf der elektronischen Seekarte – einen südkoreanischen und einen japanischen Fischer. Ansonsten ist um uns herum: Leere. Damit wächst bei der Besatzung das Bewusstsein dafür, wie groß der Atlantik tatsächlich ist. Gestern machte Kapitän Detlef anlässlich unseres Fortkommens noch einmal darauf aufmerksam, dass wir den letzten Punkt zur Umkehr inzwischen überschritten haben: unsere nächste Möglichkeit, Land zu erreichen, liegt vor uns, auch wenn das Land achteraus näher scheinen mag. Bis Palm Island auf den Grenadinen sind es noch 1495 Seemeilen.
Dr. Martin Goerke, Projektleitung an Bord, und Detlef Soitzek, Kapitän