[alles nur Gedanken]

Marc Philipp

Datum: 21.04.20
Mittagsposition: 52° 59,3‘ N 004° 46,2‘W
Wetter: Lufttemperatur: 11,5° C, Wassertemperatur: 10,5°C, Wind: ENE 5
Autor: Marc Philipp und Käptn Peng

Wahllos stehen dort Windmühlen herum. Auf Kanal 16 hört man immer wieder kurze Wortwechsel auf Niederländisch, das Wasser ist tiefgrün. Vor allem aber ist es eisig kalt.

Das heißt, die Wärmflaschen­saison läuft auf Hochtouren, aber das ist nicht der einzige Grund, warum die Backschaft mit dem Wasseraufkochen fast nicht mehr hinterherkommt. Denn das Ankerspill braucht bei diesen Temperaturen zum Anlaufen auch heißes Wasser, genauso wie immer mehr Leute an Bord, die sich Tee eintrichtern. Wobei die Definition von Tee absolut überlastet wird, denn oft wird nur der Teebeutel kurz eingetunkt, und Ziehzeiten von 5-6 Minuten werden als ironische Pseudowissenschaften interpretiert, nach wie vor ist das warme Wasser der eigentlich wichtige Faktor.

Doch so unscheinbar die Thor im Wasser ihren Rumpfbewuchs pflegt und von außen nur einzelne Sonnenstrahlen den scheinbar stillgelegten Betrieb an Deck wiederzubeleben versuchen, werden unter Deck Unterkojen inventarisiert, genauso wie alle Bücher aus der Bibliothek sortiert und zurückgebracht werden. Es entstehen aber auch öfters Runden, bei denen Fotos angeschaut, und unter den Festplatten ausgetauscht werden. Am Ende will keiner seinem Erinnerungsvermögen die Macht überlassen, da sind Fotos sehr hilfreich. Denn tatsächlich grübelt der eine oder andere mal darüber, was es am Vortag zum Mittagessen gab, bis die Person merkt, dass sie da natürlich geschlafen hatte! Wie konnte ich das vergessen. Und zum Abendessen? Aber das ist unwichtig. Bekannt ist, dass Zeit vergeht, aber wann Zeit war, das weiß keiner.

„Das gestern wurde flüssig und vom heute getrunken, von der Vergangenheit entkoppelt und mit morgen gebunden“, beschreibt auch sehr gut meine zeitliche Wahrnehmung. Zu allem Überfluss mischt sich dann auch das Déjà-vu ein, das mich schließlich mit keiner Sicherheit mehr durch meine Erinnerungen begleitet.

Meine Erinnerungen der Reise sind so wie ein Labyrinth, das sich verschlingt und mit sich selber ringt.

Öfters fällt mir mal ein Satz ein, den ich meiner Gastmutter in Panama gesagt habe, oder eine kleine Anekdote auf einer Schokoladenplantage auf Grenada. Und das auf der Marsrah!

„Ich bin ein Mensch und du ein Teil meines Ichs, und während du auf den Stufen sitzt, formuliere ich dich und extrahiere somit meine inneren Bewegungen in sprachliche Metaphern einer erfundenen Begegnung“. Das versteht aber mein Gedächtnis nicht. Es lässt alles Mögliche aufflackern und genauso schnell wieder verschwinden. War das schon immer so? Ich kann mich nicht wirklich erinnern – aber offensichtlich ist im Formulieren des Problems die Lösung schon enthalten. Nun steht ein wissenschaftlicher Fragebogen aus, der im Laufe der Reise schon öfters ausgefüllt werden musste; es kamen Fragen wie „Wie hast du dich in letzter Zeit gefühlt?“ oder „Warst du in den letzten Monaten fröhlich?“. Das brachte schließlich mein Nervensystem zum kollabieren, und es war erst nach einem Glas warmen Wassers mit dem Geschmack „türkischer Apfel“ wieder auf die niederländische Küste eingestimmt.

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