Der Gruß des Nordatlantiks

Emil

Datum: 27.02.2020
Mittagsposition: 27° 44,5‘ N 079° 11,0‘W
Etmal: 185 sm
Wetter: Lufttemperatur: 18.5° C, Wassertemperatur: 25°C, Wind: N 5-6
Autor: Emil

Kaum sind wir wieder auf See, Havannas Skyline ist vor noch gar nicht allzu langer Zeit am Horizont im Nebel verschwunden, da begrüßt uns der Nordatlantik mit all seiner rauen Schönheit und Kraft. Am 25. Februar sind wir bei entspanntem Segelwind aus Kuba ausgelaufen. Doch umso nördlicher wir kommen und umso weiter wir auf offene See geraten, desto stärker werden Wind und Seegang. Außerdem ist es nicht mehr die entspannte karibische Brise, die uns zusammen mit der warmen Sonne verwöhnt und träge gemacht hat, sondern Seewind, der in anderen Breiten gereift ist und schon viele Meilen übers offene Meer zurückgelegt hat. Wir befinden uns nicht mehr in Reichweite des kontinuierlichen Passatwindes, welcher uns sicher in die Karibik gebracht hat. Wir befinden uns an der Grenze zum Nordatlantik. Hier treffen warme tropische Winde und eisige Luftströme aus der Antarktis aufeinander, sie bilden die tollsten Luftverwirbelungen. Kaltfronten und Tiefdruckgebiete bringen Böen, starken Seegang und Winde der Stärken 6-8 mit sich, die wir die nächsten Tage erleben werden.

Der erste Tag nach dem Auslaufen ist ein normaler Wachtag mit Backschaft, Reinschiff und einer extra Brotbackschaft. Noch ist nichts von den Wetterextremen zu spüren. Höchstens durch Voraussagen, die wir durch Wetterkarten vom Kapitän bekommen, können wir erahnen, was wir die nächsten Tage zu spüren bekommen.

Es ist der 27. Februar 2020. Gruppe B hat Unterricht. Diejenigen, die Nachtwache gehen, können sich langsam an den stärkeren Wind und Seegang gewöhnen. Die anderen, welche die Nacht durchgeschlafen haben, werden am nächsten Morgen in eine schwankende, wackelnde Welt geworfen, wenn sie nicht schon nachts aus der Koje gefallen sind. Beobachtete man die Anzeige in der Last, auf welcher die Schräglage des Schiffes abzulesen ist, kann man ab und zu den Zeiger auf fast 25° schwingen sehen. Und schon macht sich das vertraute, flaue Gefühl im Magen breit und das Frühstück, welches gerade noch zu sich genommen wurde, verabschiedet sich bei dem ein oder anderen über die Reling. Nicht viele bleiben verschont. Der Unterricht fällt aus und jeder versucht auf seine Art und Weise mit der Situation klar zu kommen. Doch hat man die Übelkeit überwunden, die Müdigkeit besiegt und sich an das schwankende Schiff und nasse Gummistiefel gewöhnt, kann man die Situation genießen, sich an der salzigen Luft und den brechenden Wellen erfreuen. Das Essen schmeckt doppelt so gut und die warme Koje wartet nach anstrengenden, kalten und nassen Wachen auf den dankbaren und erschöpften Wachgänger.

Diese Tage mit starkem Wind, Böen, kaltem, dunklem Wasser, aus welchem sich die großen, weiß gekrönten Wellen emporheben und übers Deck brechen und das damit verbundene, schwankende Schiff erschweren den Alltag an Bord ungemein, worauf ich im Folgenden eingehen werde.

Die Seekrankheit ist wohl die offensichtlichste und auch unangenehmste Folge des Wellengangs. Doch möchte ich die unschöne Situation, die den ein oder anderen ereilt, nicht weiter vertiefen. Vielmehr will ich auf die scheinbar einfachsten Dinge, die durch eine schwankende Umgebung zur schwierigsten Aufgabe werden eingehen. So sagt Detlef nicht umsonst, dass vor jedem Auslaufen Kammern, Fächer, Kojen, die Kombüse ja das ganze Schiff seeklar gemacht werden müssen. Aber was bedeutet eigentlich „seeklar“? Sobald ein Fach zu voll ist, Bücher nicht im Regal stehen, oder Kisten nicht gelascht sind (also nicht festgebunden sind), machen sich diese Gegenstände selbstständig, bewegen sich und gehen kaputt. Seeklar bedeutet also, dass auch bei 25° Schräglage nichts herumrutscht, herunterfällt oder sonst wie beschädigt wird. Dass dies nicht immer der Fall ist beweist der sogenannte „Fail-Blog“, eine Liste mit allen Gegenständen, die nicht mehr ganz oder nicht mehr funktionstüchtig sind. Hilfreiche Dinge um das Schiff seeklar zu halten sind Kisten, Spanngurte, Curver-Boxen oder Anti-Rutschdecken. Vor allem letztere und Kisten erleichtern die Mahlzeiten und die Backschaft.

Die Anti-Rutschdecken liegen auf den Tischen, in Boxen oder auf den Sitzbänken, denn auf ihnen steht alles fest und es bewegt sich nichts. Sie sind äußerst praktisch, allerdings kann ich mir keinen anderen Ort, als ein Schiff vorstellen, an dem diese Decken nützlich sein könnten. Alle gestapelten Kisten müssen mit Spanngurten gelascht werden. In der Trockenlast, Tief- und Kühllast, ist dies unbedingt nötig, denn sonst können Kisten verrutschen und die Tür versperren, was letztens der Fall war und worauf die ganze Tür ausgebaut werden musste. Äußerst wichtig ist außerdem, dass man nicht nur alle Gegenstände sichert, sondern auch auf seinen eigenen Stand achtet. Eine Welle, nasser Boden und schon verliert man den Halt. Zum Glück gibt es genügend Möglichkeiten, sich festzuhalten und an einigen Orten, wie z.B. dem Achterdeck oder der Kombüse werden zusätzlich Strecktaue zum Festhalten gespannt. So macht der Seegang die einfache Aufgabe, Wasser einzuschenken sehr schwer und fast immer wird etwas verschüttet. Spätestens, wenn nachts der Schlaf fehlt, weil man nicht ruhig liegen kann, weiß man die ruhigen, stillen Orte, die sich nicht bewegen, zu schätzen.

Trotz aller anstrengenden, nervigen und schlafraubenden Gegebenheiten finde ich die Seeetappen mit Wind, Wellen und Sturm wunderbar.

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