Journalistin: Luna
Die Schiffsübergabe ist ja aktuell ein riesiges Thema an Bord und als „Luna Kolumna – Die segelnde Reporterin“ (mein neuer Spitzname von Vanessa) muss ich natürlich auch Informationen sammeln und mit den Beteiligten sprechen. Zu diesem Zweck habe ich während der letzten Tage unserem neuen Schülerstamm einige Fragen zur jeweiligen Verantwortungsposition gestellt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es erstaunlich ist, wie weitreichend teilweise die einzelnen Zuständigkeitsbereiche sind und wie sehr sich doch die unterschiedlichen Ämter voneinander unterscheiden. Außerdem ist uns allen klar geworden, wie groß doch die Verantwortung ist, ein solch großes Schiff zu segeln, alle Abläufe zu kontrollieren und Informationen weiterzugeben. Und nun noch den Interviews vorweg: Ich finde es unglaublich schön, dass zwar einige Schüler wichtige Ämter innehatten, es aber trotzdem nie zu der Situation gekommen ist, dass diese auf irgendeine Art und Weise höher gestellt gewesen wären, als diejenigen, die als helfende Deckshände fungiert haben! Denn was könnte der Käpt’n ausrichten, ohne seine Mannschaft, die während des Manövers die Tampen bedient?
Als erstes treffe ich mich mit unserem Maschinisten Jandrik. Er ist zuständig für die gesamte Technik an Bord und damit für die Wartung und Instandhaltung der Geräte, insbesondere natürlich von „Olga“, unserer Maschine. Dies stellt insofern eine große Herausforderung dar, dass jederzeit etwas kaputt gehen kann – das muss dann so schnell wie möglich wieder repariert werden! Eine solche Situation trat ein, als Jandrik mitten in der Nacht geweckt wurde, weil aufmerksamen Maschinenronden der sinkende Brennstoffdruck nicht verborgen blieb und sie ihn mit der Lösung des Problems beauftragten. Letztendlich stellte sich heraus, dass ein Ventil zu weit geschlossen war, also glücklicherweise keine größere Störung vorlag. Für das Amt des Maschinisten hat er sich beworben, weil er sich schon länger für Technik und insbesondere Motoren interessiert, sowie Spaß bei seinem Praktikum in einer früheren Etappe hatte.
Weiter geht es mit unserer Proviantmeisterin Fee, die ich zuvor noch beim Mehlholen aus der Unterkoje unterstützte. Sie ist sehr gut gelaunt und erzählt mir, dass ihr Job zwar anstrengend sei, aber aufgrund der positiven Rückmeldungen zu ihren Speiseplänen auch viel Spaß mache. Als Proviantmeisterin ist sie dafür zuständig, unsere Backschaft mit Zutaten zum Kochen zu versorgen. Das klingt zunächst einfach, doch müssen die Mengen natürlich kalkuliert werden und bei dem stärker werdenden Seegang ist es beispielsweise auch nicht möglich, flüssigen Kuchenteig in den Ofen zu schieben – er schwappt einfach über das Blech hinaus! Außerdem steckt viel Proviant zwar seefest verstaut, aber eben auch tief vergraben in den Unterkojen, wo er überhaupt erst einmal gefunden werden muss, um ihn zur Zubereitung unserer Speisen nutzen zu können. Eine gute Proviantmeisterin muss also sowohl motiviert und strukturiert sein, als auch gut vorplanen können, aber auch spontan sein. Unsere Fee nutzt dafür schon seit Tagen den Boden in Kammer Zwei als Schreibtisch… Das Ergebnis davon durften wir uns in Form von Pizzaschnecken und Franzbrötchen schmecken lassen!
Den Bootsmann Samuel erwische ich später nach „Feierabend“ in der Messe. Er erklärt mir anhand verschiedener Beispiele, was er in seiner Position die letzten Tage gearbeitet hat. So hat er die Tassenhalterung auf dem Achterdeck geschliffen und neu lackiert, sodass sie jetzt wieder glänzt wie neu. Außerdem hat er an Taklingen gearbeitet, so dass die Enden der vielen Tampen an Bord nicht ausfransen können. Als „Mann für alles“ ist Samuel einerseits verantwortlich für mehr oder weniger jedes Teil, das kaputt geht, andererseits für handwerkliche Arbeiten mit Holz, im Rigg und an den Segeln. Da er sich für all diese Bereiche interessiert, stellt die Schiffsübergabe eine großartige Möglichkeit dar, Neues auszuprobieren und auch mehr dazuzulernen. Dabei fungiert Jakob, unser Berufsbootsmann als wichtige Unterstützung und steht bei Fragen immer als Mentor zur Verfügung. Trotzdem ist bei der Schiffsübergabe einer von uns Schülern „der Chef im Laden“!
Nach einer unserer gemeinsamen Wachen unterhalte ich mich mit meiner Wachführerin Sophia. In dieser Position ist sie verantwortlich für die Organisation von Wache und Reinschiff, wobei sie uns andere Schüler für die anstehenden Aufgaben einteilt und als Ansprechpartnerin dient. Ebenso leitet sie Segelmanöver an und führt die Wachbesprechungen. Vor allem erstere Aufgabe sieht sie als große Herausforderung, weil man dafür Durchsetzungsvermögen braucht und selbstbewusst Anweisungen erteilen muss. Doch diese große Verantwortung macht ihr sehr viel Spaß und die Möglichkeit, weitere Erfahrung im Umgang mit den Segeln zu erlangen, stellt ebenso eine gute Chance dar, sich neues Wissen anzueignen. Auf die Frage, ob sie sich nochmals als WaFü (Wachführerin) bewerben würde, antwortet sie mit einem eindeutigen „Ja, auf jeden Fall!“.
Zusätzlich zur bereits vorgestellten Wachebene und dem technischen Bereich gibt es noch ein anderes großes Aufgabenfeld: das der Schiffsleitung. Bei unserer Schiffsübergabe gibt es zwei Projektleiterinnen, nämlich Lea und Mona, sowie vier nautische Leiter. Dabei arbeiten Finn, Max M. und Jasper als Steuerleute und Emma fährt als Kapitänin. Diese sechs Jugendlichen tragen Sorge dafür, dass zum einen das Tagesprogramm geordnet abläuft, der Unterricht stattfindet und zusätzliche Termine angekündigt und geplant werden (Projektleitung), zum anderen dafür, dass die Thor Heyerdahl mit der gesamten Besatzung auch wohlbehalten durch den Nordatlantik und entlang des berüchtigten Bermudadreiecks den Weg zu den gleichnamigen Inseln findet – wie bereits in einem vorherigen Blog erwähnt zeitweise nur durch astronomische, traditionelle Navigation (Schiffsleitung). Trotz ihrer vielfältigen Arbeit haben die Amtsträger ebenfalls kurz Zeit gefunden, mir von ihren besonderen Aufgaben zu berichten:
Emma ist zwar eigentlich durchgängig damit beschäftigt, gemeinsam mit den Steuermännern zu rechnen, doch zusammen mit Finn erklärt sie mir dann doch, wie denn ihr wichtigstes Instrument, der Sextant, aufgebaut ist. Dabei handelt es sich um ein nautisches Gerät zur traditionellen Navigation. Dieses stellt in einfachen Worten eine Art zweigeteiltes Fernrohr dar, auf der linken Seite blickt man auf den Horizont, rechts sieht man durch zwei Spiegel die Sonne oder ein anderes Gestirn, welches man durch Einstellen des richtigen Winkels im rechten Fernrohr auf die Höhe des Horizontes verschieben kann, man holt es sozusagen herunter.
Mit eben diesem Winkel und der exakten Uhrzeit (zu der man den Stern „geschossen“ hat) sowie der Hilfe einer Formel und Büchern (z.B. das nautische Jahrbuch) voller im Vorhinein errechneter Daten ist die Berechnung einer Standlinie, die in eine Karte eingezeichnet wird, möglich. Hat man nun mehrere dieser Linien und verschiebt sie mit Bezug auf Kurs und Geschwindigkeit soweit, dass sie zur gleichen Uhrzeit entstanden sein sollten, ergibt sich daraus ein nautischer Ort und damit hoffentlich die richtige Position. Offensichtlich ist die Positionsberechnung eine sehr aufwändige und zeitraubende Tätigkeit, weshalb Emma sich wieder auf den Weg zum Achterdeck macht, während mir Finn noch weitere Informationen gibt. Die Aufgabe der Schiffsleitung besteht aktuell darin, so viele richtige und genaue Orte wie möglich zu ermitteln, was durch Messungenauigkeiten und falsche Rechnungen erschwert wird. Ebenso müssen die Schüler sich ganz auf ihr Können verlassen und ihre Ergebnisse gegenseitig überprüfen, da sie kein GPS zur Kontrolle verwenden dürfen.
Laut Finn ist vor allem die gute Teamarbeit eine tolle Erfahrung, genauso wie das erst seit kurzem bestehende Wissen anwenden zu können. Obwohl er sich den Posten weniger stressig vorgestellt hat, würde er auch noch einmal als Steuermann auf der Thor fahren wollen. Zu seinen Aufgaben gehören abgesehen von der Positionsbestimmung die Bestimmung der Kurslinie und das Koppeln, also die ungefähre Position (diesmal ohne Sextant) unter Einbezug von Kurs und der durch die Relingslogge ermittelten Geschwindigkeit zu errechnen. Bei der Logge wird Bio-Müll vorne am Bug über Bord gegeben und die Zeit gestoppt, sobald er eine gewisse Strecke entlang der Bordwand passiert hat. Aus dem Mittelmaß verschiedener Durchgänge ergibt sich dann unsere ungefähre Geschwindigkeit. Aufgrund der Komplexität der weitreichenden Arbeiten gibt es täglich stattfindende Gespräche mit Detlef und Martin, der erwachsenen Schiffsleitung, bei denen das Vorgehen besprochen und Pläne vorgestellt werden. Ebenso bekommen die Schüler dabei Anregungen und Unterstützung, inwiefern Ideen optimiert werden können und Potenzial voll ausgeschöpft werden kann. Auch vor Beginn der Übergabe gab es ein Treffen aller Bewerber, bei dem Segeltheorie wiederholt und auch einige spezielle Tipps gegeben wurden.
Zuletzt begebe ich mich in die Messe zu Lea und Mona, die dort wie auch schon gefühlt die ganzen letzten Tage an den Laptops sitzen und arbeiten. Sie erklären mir, dass sie dabei für die Schiffsübergabe die Backschafts- und Wachpläne ändern mussten, da sich die Positionen einiger Schüler während dieser ja verändert haben. Auch erstellen sie das Landprogramm für Bermuda und den dort geplanten Unterricht. Genauso stellt die Einklarierung, verbunden mit dem Schreiben einer vollständigen Crewliste, der Auflistung aller persönlichen Wertgegenstände sowie zusätzlicher Unterlagen eine umfassende Aufgabe dar. Das Ausfüllen dieser Dokumente liegt ganz in Schülerhand und so sind die beiden Jugendlichen dafür verantwortlich, dass unserer Einreise nichts im Wege steht, auch wenn Martin sie über Besonderheiten informiert. Um den Job als Projektleitung auszuführen, sollte man organisiert und strukturiert sein, sowie sich die Zeit sinnvoll einteilen. Lea und Mona haben bereits auf der letzten Etappe Erfahrungen als Projektleitungsassistentinnen gesammelt und viel von Ruth gelernt, was sie nun anwenden können. Sie bleiben auch dann noch entspannt, wenn etwas mal länger dauert als geplant und wissen, dass sie sich immer auf die Andere verlassen können. Dadurch ist es möglich die Aufgaben aufzuteilen, sodass beide konzentriert (in Bordsprache „Auf Zeng!!!“) arbeiten und am Ende ihre Pläne abgleichen können.
Mit einem Zitat von Mona möchte ich auch zum Ende kommen: „Wenn ich sehe, was wir gemeinsam geschafft haben, weiß ich, dass sich die Arbeit gelohnt hat!“ Ja, wir alle haben unser Schiff zusammen übernommen und es gemeinsam geschafft, es nach Bermuda zu steuern, was auch nur funktioniert hat, weil alle mitgeholfen haben! Und genauso wie wir diese Herausforderung gemeistert haben, werden wir auch als Gruppe die nächsten Wochen erleben, bis wir dann reich an neuen Erfahrungen wieder in Kiel ankommen! Bis dahin genießen wir noch die gemeinsame Zeit.