Datum: Mittwoch, der 03.12.2014
Mittagsposition: 14°08,9′ N; 043°41,8′ W
Etmal: 127 sm
Wetter: Lufttemperatur: 30° C, Wassertemperatur: 27°C, Wind: ESE 3
Autor: Kai
Zuhause in Deutschland, irgendwann im letzten Schuljahr. In ein paar Tagen steht die Klassenarbeit an. Bis dahin sind noch einige Schulstunden Zeit, um die Schüler auf die Arbeit vorzubereiten und weitere wichtige Inhalte der Unterrichtsreihe zu besprechen. Die Hausaufgaben können Übungsaufgaben beinhalten und man hat Zeit, schriftliche Aufgaben ausführlich zu besprechen. So oder so ähnlich kennt das fast jeder Lehrer in Deutschland. Nun war es auch an Bord der „Thor Heyerdahl“ soweit: Der erste Test der Reise stand an, und zwar in „meinem“ Fach Deutsch.
Da erst seit der Abfahrt von Teneriffa Unterricht stattfindet, denn die Schüler mussten vorher noch die nautischen Grundlagen des Segelns und den Schiffsbetrieb im Allgemeinen kennenlernen, war der Unterricht bis zum Test sehr kompakt. Der größte Unterschied zum heimischen Unterricht sind aber die hochsee’ischen Umstände, die den Unterricht hier beeinflussen.
Mit diesen Herausforderungen wächst man natürlich, das gilt sowohl für Schüler, als auch für die Lehrer und die restliche Besatzung des Schiffes. Schließlich muss man schon während des Unterrichts mit den „Unwägbarkeiten“ eines Schiffbetriebs auskommen – die Fahrwache schaut von der Brücke beim Unterricht zu, fliegende Fische oder sogar Meeressäuger lenken die Schüler vom Unterricht ab, an den Rändern des „Klassenzimmers“ laufen Reinschiffbeauftragte, Fahrwache, Backschafter oder weitere Interessierte vorbei, man gerät in ein Segelmanöver – und der Sonnenstand lässt die Schülerschaft über den Tag verteilt von Backbord- nach Steuerbordschatten wandern. Aber wann kann man schon das Privileg genießen, bei 29° Außentemperatur an der freien Luft, umgeben vom weiten Atlantik, dauerhaftem Wellenplätschern, einer frischen Brise um die Nase und steter Wasserumspülung an den Füßen zu unterrichten? Für diese Möglichkeiten nimmt man geringfügige Einschränkungen des Lehrbetriebs doch gerne in Kauf.
Diese besonderen Umstände wirken sich auch auf die Organisation des Testes, der in anderen Bundesländern als Klassenarbeit oder Klausur bezeichnet wird, aus: Der Test kann nicht im Lehrerzimmer kopiert werden, das gibt es nämlich nicht. Aber neben dem Salon gibt es im Achterschiff noch ein Büro mit einem kleinen Drucker – das Büro ist sicherlich nicht mehr als 1 m² groß und wenn man auf dem Hocker sitzt, um den Drucker zu bedienen, kann man sich nicht mehr umdrehen. Normalerweise ist hier die Tür offen, dann sind die Zustände nicht ganz so klaustrophobisch, aber man muss bedenken, dass hier gleich Schüler für die Sicherheitsrunde oder zum Eintragen des Wetterbuchs oder der Position vorbeilaufen könnten – und diese dürfen den Test vorher nicht sehen. Aus demselben Grund verstecke ich die Tests tief in meinem Wäschefach in der Kammer, denn morgens kommen die Schüler wieder in die Kammer, um zu wecken.
Ebenfalls zur Organisation des Tests gehört die Frage, wie man 34 Schüler auf zwei Räume aufteilt: die eine Hälfte schreibt an Deck und die andere Hälfte schreibt unter Deck in der Messe. Ich führe dann an Deck Aufsicht und komme selber ins Schwitzen – denn um alle Schüler gleichzeitig sehen zu können (der Messe-Niedergang ist im Weg), muss ich in der Sonne stehen, während fast alle Schüler einen Schattenplatz erwischen. Da der Seegang und auch der Wind nicht so stark sind, haben die Schüler das Glück, nicht dauerhaft die „zweite“ Hand zum Festhalten ihrer Materialien gebrauchen zu müssen. Allerdings wird dann doch einmal ein beschriebenes Blatt vom Winde verweht, vor dem Abtauchen im Atlantik bewahrt und muss fürs Korrigieren auf der Leine trocknen…
Während für die Schüler nach dem Test nun die Arbeit – zumindest für das Fach Deutsch – vorbei ist, beginnt meine: Zwischen Fahrwache, Unterricht, Freiarbeitsbetreuung und Backschaft müssen 34 Tests korrigiert werden. Auch dies ist eine ambitionierte Aufgabe, vor allem, wenn die „Riff-Ferien“ vor der Tür stehen. Und auch auf diese Aufgabe kann man mit zwei Perspektiven blicken: Man kann sich natürlich ärgern, die geringe Freizeit mit Korrekturen anstatt mit den schönen Seiten einer Atlantiküberquerung auf den Spuren Kolumbus‘ zu verbringen. Andererseits ist es auch etwas Besonderes, mit Blick vom Achterdeck ins tiefe Blau des Meeres den Rotstift „zu schwingen“. Arbeit ist eben Arbeit – und bleibt Arbeit, egal, wo man sich befindet.
Bei so vielen Unterschieden bleibt dann aber doch eines gleich: Schon am Abend nach dem Test kommen die ersten Fragen von den Schülern, ob ich ihn schon korrigiert hätte. In der Schule „daheim“ würde mich diese Frage wohl nur im Unterricht und vielleicht auf dem Pausenhof erreichen – hier sind die Schüler zwar genau so gespannt, aber treffen mich natürlich immer und überall. Ich werde mich beeilen…