One day baby we’ll be old!

fineDatum: Mittwoch, der 24.02.2015
Mittagsposition: 24° 58,7′ N; 080° 10,8′ W
Etmal: 175 sm
Wetter: Lufttemperatur: 24°C, Wassertemperatur: 25,5°C, Wind: NNE 2
Autor: Fine

„Oh baby, we’ll be old and think of all the stories that we could have told…“, höre ich von unten aus der Kombüse zu mir heraufdringen, während ich auf dem Deckshaus liege und die Vögel über mir beobachte. „Aber wird es später wirklich einmal so sein? Na klar, alt werde ich wohl oder übel irgendwann werden, aber der Rest? Werde ich eines Tages im Altersheim sitzen und darüber nachdenken, wie wenig ich aus meinem Leben gemacht habe und was ich alles hätte anders oder besser machen können? Nein, ich denke nicht… obwohl, wer weiß das schon. Alte Menschen werden ja manchmal ein wenig komisch, werde ich wohl auch komisch werden? Und mir dann wünschen, vieles anders gemacht zu haben oder es bei vielen Dingen bereuen, sie getan zu haben?“ Ich mache die Augen zu, um ein wenig in der Sonne zu dösen.

Plötzlich sehe ich eine etwas rundliche, alte Dame in einem Schaukelstuhl vor mir. Sie muss wohl so in den frühen 70ern sein und neben dem Strickzeug, das auf ihrem Schoß liegt, sitzt ein kleiner Junge, der sich an sie schmiegt. Ihr gegenüber sitzt ein Mädchen, etwa in meinem Alter, das mit ihrem Handy beschäftigt ist. Als der Junge die alte Frau erwartungsvoll anschaut, beginnt diese zu erzählen: „Damals, als ich so alt war wie du“, nickt sie dem Mädchen zu, das verlegen das Handy zur Seite legt, „habe ich mich dazu entschlossen, eine Reise zu machen. Es war keine gewöhnliche Reise und auch ganz und gar keine Urlaubsreise. Wir waren Jugendliche aus ganz Deutschland und sind mit einem Segelschiff um die halbe Welt gesegelt. Ich war mir vorher im Klaren darüber, dass es nicht einfach werden würde, vor allem Familie und Freunde ein halbes Jahr lang nicht zu sehen, teilweise auch nicht zu hören. Viele Leute fragten mich, ob ich denn verrückt geworden sei, so etwas freiwillig zu machen und auch meine Mutter war zunächst nicht gerade begeistert von der Idee, aber ich hatte es mir in den Kopf gesetzt und war nicht davon abzubringen.

Ich habe so viel von der Welt gesehen, so viele wunderschöne Länder mit hohen Bergen und großen Städten, und doch waren es nicht die Länder, die diese Reise für mich ausmachen. Vielmehr sind es die vielen Menschen, mit denen ich so unglaublich tolle Momente erlebt habe und die Erinnerungen daran teilen. Es war oft gewiss nicht einfach, mit Müdigkeit und Heimweh zu kämpfen und dabei zu wissen, noch 14 Stunden Arbeit vor sich zu haben oder nicht die gewohnte Freizeit und den gewohnten Luxus zu haben, doch dadurch habe ich gelernt, viele selbstverständlichen Dinge mehr wertzuschätzen. Sowohl einfache, materielle Dinge als auch die Menschen an sich. Erst dadurch bin ich mir bewusst geworden, wie unglaublich wichtig mir meine Familie war und wie froh ich sein konnte, so ein wundervolles Zuhause zu haben. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass die Reise nur aus Arbeit und Heimweh bestand, nein, ganz und gar nicht. Ich hatte so viel Spaß und eine so unglaublich schöne Zeit an Bord, die ich bei meinem Leben nicht missen wollte.“ Sie macht eine kurze Pause und streicht dem Jungen, der mittlerweile auf ihrem Schoß eingeschlafen ist, behutsam über den Kopf. „Obwohl natürlich auch Leute dabei waren, die nicht gerade meine besten Freunde waren oder mir manchmal tierisch auf die Nerven gegangen sind, ist mir am Ende der Reise schließlich bewusst geworden, dass wir doch alle eine Gemeinsamkeit hatten: Wir haben begriffen, dass man, wenn man einmal alt ist, nicht die Dinge bereut, die man getan hat, sondern die, die man nicht getan hat!“ Mit diesen Worten schließt sie ihre Erzählung und lächelt dem Mädchen, das sie mit großen Augen anschaut, gutmütig zu.

Ich wache plötzlich auf und bin ein wenig verwirrt. „Habe ich das eben geträumt? War ich die alte Frau? Oder das Mädchen?“ Ich komme schließlich zu dem Schluss, dass ich die alte Frau gewesen sein muss, und mir wird klar, dass ich später nicht über die Geschichten nachdenken muss, die ich erzählen könnte, wenn ich mehr aus meinem Leben gemacht hätte, sondern dass ich voller Stolz von dem erzählen kann, was ich erlebt habe. Ich schnappe mir die Gitarre von Max, die neben mir liegt, und beginne erst nur zu spielen und schließlich zu singen: „One day baby we’ll be old, oh baby, we’ll be old and tell them all the stories, we experienced together…“

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