Datum: Donnerstag, der 24.12.2015
Mittagsposition: 12° 19,4′ N; 066° 12,6′ W
Etmal: 141 sm
Wetter: Lufttemperatur: 28° C, Wassertemperatur: 27°C, Wind: E 4-5
Autorin: Lara
Als ich heute Morgen (eigentlich trifft es „heute Nacht“ eher) mit den Worten „Frohe Weihnachten, Lara! Es ist halb fünf und du hast in einer halben Stunde Wache“ geweckt wurde, wäre ich ehrlich gesagt am liebsten liegen geblieben. Denn ich war einfach noch nicht bereit. Und auch während den drei Stunden Wache war von besinnlicher Stimmung keine Spur zu entdecken. Wirklich. Ich habe es versucht. So bin ich zum Beispiel an den Tagen zuvor zu den Thorwürmer-Proben gegangen, obwohl das Singen nun wirklich nicht zu meinen Stärken gehört. Doch als ich mich an diesem Morgen aus dem Bett schleppte, konnte ich nur an zwei Dinge denken. Nämlich wie viel ich an diesem Tag noch erledigen müsste und, dass ich mich auf das leckere Frühstück freute, da ich endlich meine in Grenada gekaufte Grapefruit genießen könnte.
Den ganzen Morgen habe ich damit verbracht Teelichter zu verzieren und einen Mistelzweig zu basteln. Und auch als ich die Tafel mit einem Weihnachtsbild bemalte, fehlte die Stimmung. In Wahrheit wollte ich mich von Weihnachten ablenken, indem ich alles weihnachtlich dekorierte. Das klingt jetzt wahrscheinlich nach ziemlich verdrehter Logik und ein bisschen komisch ist es bestimmt auch, aber können Sie mich nicht verstehen? Während man beschäftigt ist kommt man nicht ins Grübeln. Während man überall etwas zu tun hat, kann man nicht ausrechnen wie spät es gerade zu Hause ist. Während man verzweifelt das gesamte Schiff nach Tischdecken absucht, hat man keine Zeit sich nach Hause zu sehnen. Ich verbringe wie die meisten hier das erste Mal Weihnachten ohne meine Familie. Und während wir in der Wärme über den Atlantik rauschten und Lebkuchen unter Palmen aßen, begann ich etwas zu verstehen. Den Weihnachtszauber. Dieser Glanz, der im Advent in der Luft schwirrt, er besteht nicht aus der weißen Decke auf den Bäumen und auch nicht aus dem Duft von gebackenen Keksen und Schokolade. Zumindest für mich. Das, was Weihnachten für mich zu Weihnachten macht, ist der Glanz in den Augen von meinen Lieben. An Weihnachten versammelt sich auch dieses Jahr meine Familie, die über den Globus in China und der Schweiz verstreut ist, und wenn ich sehe wie ihre Augen zu strahlen beginnen und ihr Lachen durch das Haus schallt, dann ist für mich Weihnachten. Und das würde ich dieses Jahr verpassen. Deshalb versuchte ich mich abzulenken.
Nach dem Mittagessen kam mir hierbei Großreinschiff sehr zugunsten. Denn wir hatten als Station das Deck. Demzufolge ertönten mal wieder wunderschöne Polyboy-Lieder durch das Schiff. Stefan und ich haben festgestellt, wie inspirierend das tägliche Messing-polieren am Kompass doch sein kann. Ebenfalls konnten wir uns nichts Schöneres vorstellen, als an Weihnachten die grüne Pampe mit Zahnbürsten zu verteilen und zu schrubben. Das Problem trat dann erst auf, als uns unser heiß geliebter Polyboy ausging. So kamen wir zu unserem ersten Weihnachtsgeschenk. Marta spendierte uns eine ganz neue Flasche von dem Wundermittel.
Nun war das Schiff auf Vordermann gebracht, aber die Tischdecken waren immer noch unauffindbar. Das klingt nun erst mal halb so wild, allerdings hatte Detlef angesagt, dass ohne Tischdecken kein Weihnachten gefeiert werden würde. Und so blieben die regelmäßigen Regenschauer nicht das einzige Drama. In diesen letzten Stunden der Vorbereitung ging so ziemlich alles schief, was schief gehen konnte. Der Seegang fegte ein Teelicht nach dem anderen von den Tischen, das Tafelbild war falsch herum auf die Tafel gemalt, aus weißen Tischdecken wurden beige Spannbettlaken und mein liebevoll gebastelter Mistelzweig wurde vom Regenwasser durchweicht. Zum Glück gab es unsere Bootsfrau Laura, die mich wieder aufbaute und noch ein paar talentierte Jungs organisierte, die sich eine komplizierte Konstruktion aus Tampen und Rettungsringen für die Tafel organisierte.
So kam es, dass ich zwar von einem Rettungsversuch der Deko von Regen durchnässt auf dem Achterdeck stand, um mit den Fruchtcocktails anzustoßen, aber immerhin stand ich dort. Und um mich herum standen sie. Die strahlenden Menschen. Die lachenden Menschen. Die singenden Menschen. Und mit meiner Karla im Arm lauschte ich den lieben Grüßen von Zuhause, die Detlef uns vorlas. Es wurden auch Gedichte von Ringelnatz und auf ‚Denglisch‘ vorgetragen und, als der Stamm ein wunderschön umgedichtetes Weihnachtslied schmetterte, kamen mir die Tränen vor Rührung. Und während ich das erste Lied mit den Thorwürmern sang, da realisierte ich erst, dass es gar nicht anders, als zu Hause war. Denn auch hier war ich von meinen Lieben umgeben. Und auch hier habe ich eine Familie. Es ist vielleicht das beste Beispiel, an dem man den Unterschied von „dasselbe“ und „das gleiche“ erklären kann. Es sind zwar nicht die selben Menschen, aber mit ihnen zu feiern ist mindestens genauso schön wie zu Hause.
Bald wurde auch schon die Vorspeise von unserem Serviceteam aufgetischt. Avocados mit Cocktailsoße und Tomaten bzw. Gambas (schlüpfrige Scheißerchen, wie wir sie zu Hause liebevoll nennen). Dieses Drei-Gänge-Menü war nicht nur wegen des Essens etwas ganz besonderes. Wir saßen alle gemütlich beisammen und es wurde vorgelesen, gesungen und gelacht. Nach der Vorspeise startete mein Tisch dann einen Flashmob und während wir Feliz Navidad schmetterten, schunkelte ich sogar mit Willi, vor welchem ich zuvor zumindest Respekt wenn nicht sogar ein bisschen Angst hatte. Vielleicht können Sie sich vorstellen, dass das ein echtes Highlight für mich war.
Nach einem ebenfalls genialen Hauptgang war der Moment der Wahrheit dann gekommen. Es ging ans Wichteln. Nach den ersten Geschenken war ich baff und fühlte mich ziemlich schlecht wegen meines Geschenkes. Es wurden wunderschöne Buddelschiffe, KUS Kissenbezüge und Klemmbretter, Kokosnuss-Bikinis, haufenweise Armbänder und wunderschön bestickte Federtaschen ausgepackt. Als Detlef an der Reihe war wurde es zumindest für mich wirklich emotional, da ich genau mitbekommen habe, wie viel Mühe sich sein Wichtel gegeben hatte mit dem wunderschönen Türschild. Und selbst bei der Übergabe hatte er sich etwas Besonderes überlegt, so trug Laura ihren einzigen Seemannswitz vor und unser Kapitän musste sogar rätseln. In diesem Moment war nicht nur der Beschenkte im siebten Himmel, sondern auch unser lieber Wichtel war überglücklich.
Den Nachtisch habe ich leider verpasst. Kein Mitleid. Wir haben unser Eis natürlich nach der Wache bekommen, nur das Schiff will ja auch an Weihnachten gesteuert werden und so legten wir zur Feier des Tages noch ein paar Schlangenlinien ein. Während dieser halben Stunde wurden die lieben Wünsche von daheim geöffnet. Meine lieben Eltern sind auf die tolle Idee gekommen meinen Brief nicht mit einem Namen zu versehen, sondern ein Kinderbild von mir mit Rotznase und Weihnachtsmannmütze beizulegen. Das hat natürlich zur Erheiterung aller Anwesenden beigetragen, da großzügig in die Runde gefragt wurde, wer sich damit identifizieren könne. Später habe dann auch ich mich über meine Post von Zuhause gefreut. Nun haben wir alle zwei Familien. Und während ich mich heute nach Hause sehne, werde ich wahrscheinlich in einem Jahr die KUSis vermissen. Nun ja, anhand von diesen Problemen lässt sich, glaube ich, erkennen, wie gut es uns eigentlich geht. Und das tut es. Das können Sie mir glauben.
Wir, die KUSis, bedanken uns für all die lieben Weihnachtswünsche und schicken unsere besten Gedanken an Sie zurück. Kommen Sie gut ins neue Jahr. Das Jahr, in dem wir uns wiedersehen und Sie mit unseren Erzählungen bombardieren werden.