Von Verschlusszustand, Geografie und Sternen – ein fast normaler Tag auf See

schueler.marlenaDatum: Sonntag, der 27.12.15
Mittagsposition: 11° 24,3′ N; 075° 00,7′ W
Etmal: 189 sm
Wetter: Lufttemperatur: 27,5° C, Wassertemperatur: 26° C, Wind: ENE 7
Autorin: Marlena

„Guten Morgen, es ist 07:30 Uhr und Seemannssonntag, das heißt heute stehen Nutella und Erdnussbutter auf dem Tisch. Außerdem hat mir ein Mäuschen geflüstert, dass es auch noch Croissants und Pancakes gibt.“ Mit dieser doch sehr positiven Nachricht spazierte ich heute Morgen durch die Kammern, um die Unterrichtsgruppe A zu wecken. An einem Sonntag Unterricht? Eigentlich halten die Seemänner ihre Ruhetage brav ein. Wir KUSis machen es so, wie es uns gefällt und um in einigen Tagen genug Zeit zum Entspannen und zum Entdecken des Riffes bei den San Blas Inseln zu haben, nehmen wir diese Stunden eben in Kauf. Während die einen durch meine frohe Botschaft geweckt wurden, schlugen die anderen ihre Augen erst auf, als es plötzlich rund um sie herum laut hämmerte. Woher das kam? Momentan sind wir bei netten 6 – 7 Windstärken und ca. 7 Knoten unterwegs. Dementsprechend haben wir zwischen fünf und sieben Meter hohe Wellen, wovon auch oft und gerne einige über Deck brechen. Teilweise reichen sie sogar bis zum Deckshaus, darum kam heute zum zweiten Mal auf der Reise die Anweisung: Verschlusszustand Stufe 1 herstellen. Beide Schotts wurden zugemacht und alle Schlagklappen unter den Oberlichtern geschlossen. Besonders letzteres ist Bewohnern aus Kammer 1 und 2, den 6er-Kammern ein Graus. Dank Bootsfrau Laura und ihren fleißigen Praktikanten Sophie und Stefan konnte diese Aufgabe auch schnell erledigt werden. Danach waren aufgrund des Lärmes auch wirklich alle wach. Nun zum heiklen Teil: Der Unterricht musste in der Messe stattfinden und die Luft wurde mit jeder Stunde knapper. Ich hatte wirklich Mitleid mit meinen lieben Mitseglern, denn während sie von Zirkulationen in der Atmosphäre und Passatwinden in Geografie bei Marta lernten, hatte ich mich aufs Achterdeck verkrümelt, auf eine Backskiste gelegt, die Augen geschlossen und den Wind genossen. In der Freiarbeit, zwei Stunden später, spielte wieder Geografie eine große Rolle, da wir in einigen Tagen in diesem Fach unseren dritten Test auf der gesamten Reise schreiben. Was hießen nochmal konvergente und was divergente Bewegungen? Aus welchem Material besteht die ozeanische Kruste und aus welchem die kontinentale? Fragen über Fragen, die Marta plötzlich auch während dem Mittagessen beantworten durfte, das kurz danach folgte. Eine Mischung aus Langeweile – ja, ich war selber sehr überrascht – und Müdigkeit trieb mich für ein kurzes Mittagsschläfchen in meine Koje bis Reinschiffstation Sanitär, die ja leider auch sonntags geputzt werden muss, nach mir und meiner Wache jaulte. Zum Kaffee gab es für jeden zwei Lebkuchen, die noch von der Weihnachtsbackschaft übrig geblieben waren, womit zum zweiten Mal an diesem Tag allein durch Essen gute Laune hergestellt wurde. Ja, so einfach kann man uns KUSis glücklich machen. Meine weiteren zwei Stunden Freizeit bis zur Wache um 17:00 Uhr nutzte ich zum Musik-hören, Tagebuch schreiben und zwischendurch bin ich wohl auch immer mal wieder eingeschlafen.
Als ich später während der Wache am Ruder stand, stellte ich fest, dass es sich bei solch großen Wellen so anfühlt, als würden wir uns alle auf einem riesigen Surfboard befinden. Jedes Mal, wenn wir eine Welle „reiten“ bewegt sich die gesamte Thor erst mal nach oben und später wieder nach unten. Die Gischt spritzt, das Wasser kommt dabei gefährlich nahe an das Schanzkleid ran, was einen auch mal aufschrecken lässt und plötzlich wirkt es wieder weit entfernt. Nach meiner Sichterheitsronde begab ich mich wieder aufs Achterdeck und war erst mal überrascht von der Menschenmenge, die sich plötzlich mit Sextanten und Ferngläsern hier versammelt hatten. Zur Erklärung: Seit Grenada befasst sich der Wahlpflichtfachkurs „Astronomische Navigation“ mit den Sternen und bei der Schiffsübergabe zwischen Kuba und den Bermudas sollen wir SchülerInnen nur mit der Sonne und mit den Sternen navigieren. Damit wir nicht komplett in der Pampa landen, schießen zu Übungszwecken die besagten KUSis in der Abenddämmerung neuerdings Sterne. Im weiteren Verlauf des Abends kam das Kommando „Klar zur Halse!“. Mir persönlich macht Manöver fahren allgemein Spaß, aber besonders dieses Mal ging es ruckzuck, da der starke Wind wunderbar in die Segel pustete und sich viele KUSis, die keine Wache gingen, freiwillig dazu erklärt hatten mitzumachen. Der Abend endete gemütlich in der Messe mit einer Tanktop-Zerschneide-Aktion, die hier seit Neuestem schon fast zum Alltag wird. Die Jungs hatten vermutlich unterschätzt, wie warm es in diesen tropischen Breiten werden kann und lassen sich nun von unserer Profizerschneiderin Sophie, die inzwischen schon einiges an Übung hat, ihre T-Shirts etwas „belüften“ Damit geht auch ein weiterer Tag auf See zu Ende, der sich inzwischen so alltäglich anfühlt, dass ich es mir schon gar nicht mehr anders vorstellen kann.

Liebe Flora, ich wünsche dir alles alles Liebe zum Geburtstag und schicke dir über den Atlantik ganz viele Bussis. Deine Marlena

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