Datum: Donnerstag, der 28.12.2017
Mittagsposition: 12° 39,5´ N; 068° 54,0´ W
Etmal: 159 nm
Wetter: Lufttemperatur 27,5 °C; Wassertemperatur 26,5 °C; Wind: ENE 4 – 5
Autor: Christoph
Bereits auf der Atlantiküberquerung lernten wir bei Detlef viel über die astronomische Navigation. Wir behandelten ausführlich, wie man anhand der Mittagsposition der Sonne einen Standort mitten auf dem Meer bestimmen kann, der eine Genauigkeit von ± 3 Seemeilen aufweist. Ich finde es unglaublich faszinierend, wie man durch die genaue und präzise Beobachtung der astronomischen Gestirne unsere Position ohne irgendwelche Anhaltspunkte so exakt errechnen kann.
Zur Standortbestimmung haben wir die bisherige Reise über nur die Sonne benutzt. Die Sonne hat jedoch einige Nachteile. Da sich die Erde keinesfalls als Kugel mit konstanter Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn um die feststehende Sonne bewegt, sondern sich als Geoid auf einer in etwa elliptischen Bahn mit einer unregelmäßigen Geschwindigkeit und sich dabei noch um die eigene Achse dreht, ist die Berechnung mit der Sonne ziemlich aufwendig und kompliziert. Den eigenen Standort so zu bestimmen, hat noch einen weiteren großen Nachteil: Oft ist die Sonne zur entscheidenden Mittagszeit durch Wolken verdeckt und man muss sich mit ungenauen Standorten, die durch Berechnungen an alten Positionen und der Schiffsgeschwindigkeit entstanden sind, begnügen (in der Seemannsprache: „einen Ort koppeln“).
Für eine zuverlässige Schiffsnavigation ist die Sonne allein also nicht ausreichend. Daher haben wir heute in Astro-Navi ein komplett neues Kapitel angefangen. Wir beschäftigen uns jetzt mit der Methode, anhand einzelner Sterne unsere Position zu bestimmen. Im Laufe der Reise konnte ich vor allem in der Nachtwache fasziniert beobachten, wie sich der vertraute Sternenhimmel aus Deutschland komplett verändert. Zum Glück hatte ich verschiedene Sternkarten und astronomische Bücher in Digitalform auf meinem eBook-Reader mitgenommen und konnte mir darüber viele wertvolle Informationen holen. In einer dreistündigen Nachtwache beschenkte uns der Sternenhimmel 42 (!) Sternschnuppen. Das war um ein Vielfaches mehr, als ich je zuvor gesehen hatte und mir sind echt die Wünsche ausgegangen.
Um den Standort anhand der Sterne zu bestimmen, greifen wir wie bei der Sonne auf große Tabellensammlungen zurück. Sie werden für die Luft- und Seefahrt jedes Jahr exakt berechnet und in Büchern veröffentlicht. Zu Beginn unserer Standortbestimmung müssen wir den richtigen Zeitpunkt zum Messen errechnen. Die ersten sehr hellen Sterne müssen sichtbar werden, aber der Horizont muss trotzdem noch klar und scharf erkennbar sein, um einen exakten Winkel angeben zu können. Diesen Zeitpunkt bezeichnet man als die nautische Dämmerung, wenn sich die Sonne zwischen 6° und 12° unter dem Horizont befindet. Davor ist die bürgerliche Dämmerung, wenn sich die Sonne zwischen 0° und 6° unter dem Horizont befindet. Ihre Dauer ist je nach Jahreszeit und Standort sehr unterschiedlich, heute dauerte sie 23 Minuten.
Direkt nach dem Abendessen begaben wir uns also auf das Achterdeck. Zuerst suchten wir den Himmel mit den Sextanten und Ferngläsern nach den Sternen ab. Es gibt sieben „Selected Stars“, für die wir Wertetabellen dabei haben. Um die Suche zu erleichtern, hatten wir vorher die zu erwartende Position der Sterne am Nachthimmel bestimmt. Die Position eines Sternes am Nachthimmel gibt man in Bezug zum Frühlingspunkt an. Dieser ist ein extra dafür festgelegter Fixpunkt am Nachthimmel. Wir haben es geschafft, vier Sterne zu schießen und deren Winkel zum Horizont mit dazugehöriger exakten Uhrzeit zu bestimmen. Viel einfacher als bei jedem Schießen der Sonne kann man nun anhand der Ergebnisse auf der Karte vier Standlinien ziehen. Diese verlaufen alle in etwa durch einen gemeinsamen Schnittpunkt, unserem Standpunkt auf der Karte. Wir haben es also geschafft, anhand der Position von vier Sternen am Nachthimmel unseren Standort auf wenige Seemeilen genau zu errechnen. Für die Zukunft werden wir versuchen, noch mehr Sterne zu schießen. Wenn wir alle sieben Sterne hätten, könnten wir unsere Position noch viel genauer bestimmen. Aber normalerweise sind vier Sterne genug, um einen ausreichend genauen Standort zu bestimmen.
Die Mathematik in ihrer perfekten Schönheit ermöglicht es uns, durch ein paar einfache Berechnungen mitten auf dem Meer unseren exakten Standort zu bestimmen. Jeder Mathematiker und jede Mathematikerin sollte diese wunderbare Erfahrung machen können.