Der Tag, an dem ich die Koje meines Deutschlehrers auseinander nahm – oder: „Tetris für Fortgeschrittene“

SONY DSCDatum: Dienstag, der 02.12.2014
Mittagsposition: 14°30,0′ N; 041°34,4′ W
Etmal: 105 sm
Wetter: Lufttemperatur: 28° C, Wassertemperatur: 26,5°C, Wind: EzS 4
Autorin: Charlotte

„Was macht eine Schülerin in der Koje ihres Lehrers, bitte?“ – Das ist die Frage, die sich einige nun wahrscheinlich stellen. Ganz einfach, sie betreibt gerade Unterkojen-Diving. Doch was ist das jetzt schon wieder?
Unterkojen-Diving beschreibt die Suche nach Proviant, das irgendwo in den Tiefen einer Koje, den sogenannten Unter- oder auch Unter-Unter-Kojen versteckt ist.
Mit Beginn des Dezembers muss sich natürlich auch hier an Bord die Adventsbäckerei für die bevorstehenden Backaktionen vorbereiten. Denn auch mitten auf dem Atlantik werden Plätzchen, Lebkuchen und weiteres Weihnachtsgebäck sehr gerne gesehen und müssen schon fast vor den fleißigen Essern versteckt werden. Neben Zucker, Eier, Butter und Mehl wären Köstlichkeiten wie zum Beispiel Zimt oder Schokolade nicht schlecht. Bei den ganzen Überlegungen entpuppt sich jedoch eine Problemfrage: Wo sind all’ die Sachen verstaut?

Während meines Proviantpraktikums wurde ich des öfteren am Tag gefragt, wo sich welches Lebensmittel befindet. Eigentlich geht man davon aus, dass das auf einem 50 Meter langen Schiff gar nicht so schwer sein kann. Doch wir können leider nur das Gegenteil behaupten. Hier an Bord wird jede kleine Ritze zum Bunkern von irgendetwas genutzt und von diesen Ritzen gibt es auf unserer Thor sehr viele.
Wir stellten uns so auch an meinem letzten Praktikumstag die Frage, wo die Weihnachtszutaten seien, denn sie wollten einfach nicht auf dem Plan stehen. Doch unsere Proviantmeisterin kennt jede Ritze und musste nur kurz in sich gehen, bis ihr einfiel, dass DIE gesuchte Kiste in Kammer 10 sein muss. In Kammer 10 wohnen unsere beiden Lehrer Peter und Kai, die sich natürlich sehr über unseren Besuch und unser geplantes Vorhaben, das Unterkojen-Diving, freuten. Zur Erklärung: In den Kammern gibt es nur Doppelstockbetten – die unteren Betten kann man aufklappen und darin Gepäck oder eben auch Lebensmittel verstauen.

Die Situation, dass man die Koje bzw. das Bett seines Deutschlehrers auseinandernimmt, wird, glaube ich, nicht oft im Leben auftreten und diese Vorstellung ist echt lustig. Kai schläft nämlich unten, sodass seine Koje „dran glauben“ musste, während Peter, der oben schläft, nur peripher von vom Unterkojen-Diving betroffen war. Aber zurück zum Geschehen:
Ihnen blieb natürlich nichts anderes übrig, als uns ihre Kojen zu überlassen. Nachdem wir gefühlt 20 Kisten aus der Unter- und Unter-Unter-Koje angelten, blitzte es plötzlich ganz unten rot. Die Hoffnung, dass das die richtige Kiste ist, stieg und tatsächlich, die lang gesuchte Kiste war gefunden, woraufhin wir fast ein Fest feierten! Das heißt gleichzeitig, dass die Bewohner der Kammer 10 (zumindest bis zur nächsten Verproviantierung in Grenada) etwas mehr Platz in ihrer Unterkoje haben, was sozusagen die Belohnung für die etwas chaotische Aktion war.

Doch es gibt noch viele weitere Tätigkeiten, die man als Proviantpraktikant erlebt und zu tun hat. Neben dem Vorbereiten der Lebensmittel für den nächsten Tag, der Reinigung der Kühllast und dem Auffüllen der Lebensmittel in der Trockenlast spielt man als Proviantmeisterin oder -praktikant durchgehend Tetris. Bei jeder Art von Verstauung kommt es darauf an, alles möglichst kompakt und seefest zu verstauen. Nicht vergessen darf man jedoch, dass zum Beispiel Gemüse und Obst nicht dafür geeignet sind, zusammengequetscht zu werden. Wie man merkt, ist auch dieser Bereich des Proviants nicht ganz einfach. Dazu kommt, dass das Umstauen in der Kühllast (wie der Name schon sagt) eine ganz schön kühle Aktion ist. So begann ich, bewaffnet mit Fleecepulli (bei einer Außentemperatur von 26°C), das geplante Vorhaben in der Kühllast. Jede Apfelkiste hatte das Bedürfnis durchsucht zu werden und alles musste am Ende wieder sicher verstaut werden. Bei dieser Tätigkeit kann man auch ganz schnell die Nerven verlieren, denn es kann ganz gut passieren, dass man 20 Äpfel (oder andere Lebensmittel) hat, die einfach nirgendwo mehr hineinpassen. Innerlich lässt man dann einen ganz schön verzweifelten Schrei von sich, denn in diesem Fall bedeuten 20 übrige Äpfel, dass man noch einmal von vorne beginnen kann. Also noch einmal: „Gibt es irgendwo einen kleinen Apfel, der genau in dieses Loch hineinpasst? Oder wie viele Äpfel passen idealerweise in dieser Kiste nebeneinander?“ – Während aller Aufgaben des Um- oder Verstauens des Proviants (so auch während der Kühllastaktion) gehen einem diese Gedanken durch den Kopf.
Wenn aber schließlich jede Packung bzw. jeder Apfel oder jede Dose ihren sicheren Platz in der Kiste oder Unterkoje gefunden hat, darf man sich selber auf die Schulter klopfen, die Worte „Level completed“ zuflüstern und gespannt sein, welches wohl die nächste Herausforderung im kommenden Tetris-Level sein wird.

Menu