Ein Labor auf der Thor?

AnjaDatum: Dienstag, der 27.01.2015
Mittagsposition: 15° 13,6´ N; 080° 41,7´W
Etmal: 132 sm
Wetter: Lufttemperatur: 27°C, Wassertemperatur: 27°C, Wind: N 4
Autorin: Anja

Meine Biologiekollegen haben mich im Vorfeld häufig gefragt, wie denn der Bio- und der Chemieunterricht auf der Thor abläuft. Habt ihr auch ein Labor? Macht ihr überhaupt Experimente?
Daher möchte ich im Folgenden eine Antwort auf die Fragen geben:
Grundsätzlich besteht der „normale“ Unterricht aus zwei Teilen. Zum einen aus dem normalen Unterricht, der, wenn es das Wetter zulässt, an Deck und „unter Segeln“, genauer dem Groß- und dem Großtoppsegel stattfindet. Zum anderen besteht er aus Schülervorträgen und Referaten, die entweder an Bord oder auf den Landexkursionen gehalten werden.
Der normale Unterricht unterscheidet sich bis auf ein paar Kleinigkeiten nicht groß vom Unterricht zu Hause. Das Besondere ist allerdings, dass der Unterricht, wenn immer möglich, im Freien stattfindet. Sobald das Frühstück in die Messe umgelagert wird, richten die Unterrichtsbeauftragen für den jeweiligen Tag das Klassenzimmer her. Dazu wird die Tafel am Deckshaus befestigt, der Tafeleimer und die Kreide besorgt und falls gewünscht, die jeweiligen Bücher aus der Bibliothek geholt. Anschließend wird die Vollständigkeit der Unterrichtsgruppe überprüft und es kann losgehen.
Der Unterricht im Freien bringt allerdings auch ein paar Herausforderungen mit sich. Neben dem Wind, der dafür sorgt, dass nichts an der Tafel hängen oder auf den Tischen liegen bleibt, dem Motor, der die Kommunikation erschwert, dem Wasser, das nicht nur zwischen den Füßen durchschwappt, sondern auch seinen Weg auf Lehrer/ Schüler/ Unterrichtsmaterialien findet, den Wellen, die die Standhaftigkeit der Lehrer herausfordern und der Sonne, die für Schweißtropfen auf den Hefteinträgen sorgt, läuft parallel noch der normale Schiffsbetrieb mit Backschaft, Wache, Reinschiff und Praktika, der dafür sorgt, dass sich immer Gäste im Klassenzimmer aufhalten.
Nun gibt es auf der Thor natürlich kein Labor. Vielmehr ist hier Improvisation gefragt. So besteht der Bunsenbrenner beispielsweise aus einem Holzscheit mit drei Nägeln und einem Teelicht. Für den Kressekeimungsversuch wurden Standorte gewählt, die zumindest annähernd gleiche Bedingungen aufweisen. So wurden 30 Petrischalen mit Kressesamen überall auf der Thor verteilt. Neben dem Hauptstandort in der Messe konnten Petrischalen auch im Messekühlschrank, dem Generatoren- und Maschinenraum und auf dem Deckshaus gefunden werden. Abweichungen der Ergebnisse zu den erwarteten Ergebnissen konnten anschließend in einer Fehlerdiskussion aufgearbeitet werden. Der Draht, der einen Eiswürfel durchschneiden sollte, wurde mit einigen Kilo Tauchblei beschwert. Grund dafür war, dass unsere Eiswürfel die Größe eines Tetrapacks haben. Zugegeben – die Experimente funktionieren nicht immer, wie sie funktionieren sollen. Allerdings bieten sie eine gute Möglichkeit, Experimente im Unterricht gemeinsam zu verbessern und weiterzuentwickeln oder die Ergebnisse im Hinblick auf mögliche Fehlerquellen zu analysieren.
An dieser Stelle möchte ich auch Maschinist Willi und Bootsmann Simon danken, die mir und den Schülern mit ihren guten Ideen und ihren handwerklichen Fähigkeiten bei experimentellen Aufbauten immer zur Seite stehen.
Die Referate wurden von den Schülern bereits vor der Abreise vorbereitet und schriftlich ausgearbeitet. Die Inhalte der Referate sind sehr reisebezogen. Die Schüler haben die Möglichkeit, ihr Referat in einer ganz neuen Umgebung, außerhalb des Klassenzimmers, zu halten und die Gegebenheiten vor Ort mit in ihr Referat einzubeziehen. Die Mitschüler erhalten dadurch die Möglichkeit neues Wissen direkt vor Ort zu erlangen, zu erfahren und anzuwenden. So wurde das Referat „Delfine“ kurz nach unseren ersten Delfinsichtungen auf dem Atlantik gehalten. Das neue Wissen über die verschiedenen Bestimmungsmerkmale von Delfinen wird dann direkt im Anschluss benötigt, um die Delfine zu bestimmen und in unsere „Sichtungsliste für Meeressäuger“ einzutragen. Weitere Referate wurden beispielsweise auf der Wanderung auf dem Teide, kurz vor dem ersten Schnorcheln auf den Grenadinen oder im Regenwald von Panama gehalten.
Neben den Referaten gibt es auch noch Kurzvorträge, die sich ebenfalls mit aktuellen reisebezogenen Themen beschäftigen. Die Schüler bekommen sieben Tage vorher Bescheid, um sich mit den Materialien aus der Bibliothek auf ihren Vortrag vorzubereiten. Am Tag des Vortrags mit dem Thema „Mangroven“ wurden dann alle Schüler mit Maske und Schnorchel ausgerüstet und mit dem Dinghi zur Helikopterinsel auf den San-Blas-Inseln gefahren. Dort hat sich die Referentin Luca eine geeignete Stelle gesucht, um ihren Mitschülern mehr über die im Salzwasser lebenden Bäume zu erzählen. Auch hier musste wieder improvisiert werden. Zwei Mitschülerinnen wurden als Posterhalter engagiert. Alle anderen Schüler standen zwischen den Mangroven, teils im Wasser, teils an Land. Im Anschluss an den Vortrag konnten die Schüler das Ökosystem Mangroven auch noch unter Wasser erkunden.

Wie ihr sehen könnt, unterscheidet sich der Unterricht hauptsächlich durch die räumlich/ örtlichen Gegebenheiten zum Unterricht zu Hause.
Zwar haben wir hier nur ein sehr improvisiertes Labor, dennoch versuchen wir viele Experimente zu machen. Dabei machen wir das Beste aus den Bedingungen, die wir hier haben. Neben den Experimenten haben allerdings die reisebezogenen Themen einen sehr hohen Stellenwert. Pestalozzis Motto „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ kann in diesem Umfeld, auf der Thor und auf den verschiedenen Landexkursionen, optimal umgesetzt werden.

An alle Biolehrer Zuhause: Ich könnte mir kein besseres Klassenzimmer für den Biologieunterricht vorstellen! 🙂

P.S.: Liebe Familie – liebe Freunde, ich denke im Moment sehr viel an Euch!!

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