Ein Geschichtstest bei Windstärke 8

kaiDatum: Montag, der 16.03.2015
Mittagsposition: 34° 49’5 N; 049° 43,1′ W
Etmal: 139,5 sm
Wetter: Lufttemperatur: 19°C, Wassertemperatur: 19°C, Wind: SzW 7-8
Autor: Kai

Der Schulalltag an Bord ist in vielen Punkten anders als „daheim“. Dies ist nicht nur aus Schülerperspektive so, sondern auch aus Lehrerperspektive. Der stetige Seegang (ob an Deck oder unter Deck), das familiäre Verhältnis zwischen Erwachsenen und Schülern, das „Du“ unter allen Personen hier an Bord, die Eingliederung des Unterrichts in den Wachbetrieb oder das Nebeneinander von Bordbetrieb und Unterricht sind nur einige Dinge, die gleichermaßen für die Schüler als auch für uns Lehrer Unterschiede zum Schulleben auf festem Boden ausmachen. Gerade in der Vorbereitung und der Organisation des Unterrichts gibt es aber Dinge, die sich insbesondere aus der Perspektive der Lehrer hier an Bord als sehr speziell darstellen. Nach dem heutigen Tag gehört für mich dazu auch die Erfahrung, einen Geschichtstest bei Windstärke 8 und aufziehendem Sturm durchgeführt zu haben.

Was bedeutet eigentlich „Windstärke 8“? Genau genommen müsste man von einer Windstärke von „Beaufort 8“ sprechen. Die Windgeschwindigkeit beträgt dabei 34 Knoten, also 62 km/h. Unter Deck wäre das für uns egal, wenn sich die Dünung dabei nicht auf bis zu 6 bis 7 m aufbauen und somit Verschlusszustand für das gesamte Schiff gelten würde. Während der Rudergänger also auf dem Achterdeck den Wellen ins Auge schauen kann, muss man unter Deck darauf achten, dass man nicht samt seiner Materialien in der Messe von der Bank rutscht, weil die Krängung des Schiffes ungewohnt hohe Ausmaße erreicht.
Gerade der Verschlusszustand führte zu einigen organisatorischen Besonderheiten, die ich bei der Durchführung des Test beachten musste: Tests werden an Bord immer in zwei Gruppen geschrieben, damit alle Schüler genug Platz an den Tischen in der Messe haben. Während sonst nach dem Test die erste Gruppe die Messe in Richtung Deckshausniedergang verlässt und die zweite Gruppe auf dem Hauptdeck wartet und anschließend in die Messe kommt, war dies heute nicht möglich (schließlich schlugen die Wellen schon über das Hauptdeck). Somit mussten nach dem Test alle Schüler ins Deckshaus gehen, während die anderen Schüler der nachfolgenden Gruppe in ihren Kammern auf den Vorbeizug warteten, um ohne „Fremdkontakt“ und mögliche Tipps von ihren Mitschülern zum zweiten Durchgang des Tests zu kommen. Allerdings musste auch die Backschaft in der Kombüse und die Wache auf dem Achterdeck abgelöst werden, was nach Beginn des Tests wieder eine Wanderschaft in die andere Richtung auslöste, denn das Mitschiff konnte nur über den Messeniedergang verlassen werden.

Abgesehen vom organisatorisch aufwendigen Gruppenwechsel ergaben sich durch die acht Windstärken weitere Besonderheiten: In regelmäßigen Abständen hörte man Wellen auf das Hauptdeck oder gegen den Schiffsrumpf schlagen, das Wasser auf dem Hauptdeckt rauscht dabei immer mehrere Wellenlängen lang zwischen back- und steuerbord hin und her, bis es aus den Wasserklappen abgelaufen ist, die ebenfalls mit einem lauten metallischen Rummsen öffnen und schließen. Das akustische Begleitszenario für den Test über die kubanische Revolution wird von ab und zu durch besonders heftige Wellen unterbrochen.
Ich selber suche mir einen Platz am Eingang der Messe und halte mich zwischen den Gangwänden fest, um die Krängung auszugleichen und die Aufsicht übernehmen zu können (schließlich teilt der Messeniedergang die Messe in zwei Teile und man kann nur von hier beide Seiten einsehen und somit alle Schüler beobachten). Die Schülerköpfe wandern im Rhythmus des Wellengangs von back- nach steuerbord und je nach Stärke der Welle rutscht der ein oder andere Schüler die Backskiste entlang, um sich anschließend in die Ausgansposition zurückzuziehen. Ein Putzeimer ergießt sich bei einer besonders hohen Welle über meine Füße. Plötzlich knarzt das Funkgerät und Alex aus dem PK möchte von der Brücke wissen, ob er die „Personalkammer“ verlassen kann (wegen des Verschlusszustandes ist eine Funkverbindung zwischen Brücke, Messe und PK eingerichtet). Dies bleiben aber die einzigen Störungen während der Test-Zeit.

Was lernt ein Lehrer aus dieser Erfahrung? Wie so oft ist hier an Bord der „Thor Heyerdahl“ alles anders als vom normalen Schulalltag gewohnt. Das heißt allerdings nicht, dass eine solche Situation schlechter oder nicht zu bewältigen wäre. Im Gegenteil gewinnt man an Flexibilität – denn wenn Plan A nicht funktioniert, gibt es immer einen Plan B oder eine abgeänderte Variante, die ebenso zum Ziel führt. Schließlich wächst man mit seinen Aufgaben und wer später erzählen kann, dass er bei 5 bis 6 m Seegang und 20 Grad Krängung einen Geschichtstest geschrieben hat (egal ob Schüler oder Lehrer), hat in jedem Fall an Erfahrung gewonnen – Kubanische Revolution hin oder her.

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