„Ziemlich großer Mist!“ – Das Nachtleben an Bord der Thor Heyerdahl

paulDatum: Freitag, der 27.03.2015
Mittagsposition: Im Hafen von Horta, 38° 28,7′ N, 028° 42,2′ W
Etmal: 0 sm
Wetter: Lufttemperatur: 16,5° C, Wassertemperatur:16°C, Wind: S3
Autor: Paul

PÖÖÖÖÖÖÖT! PÖÖÖÖÖÖT! PÖÖ… Verschlafen drehe ich mich um, wünsche mir das alles nur ein böser Traum wäre, weiß aber genau, dass es die bittere Wahrheit ist. Eine ekelige Wahrheit. Eine stinkende Wahrheit. Und eine nötige Wahrheit: Der Fäkalientank (liebevoll Fäka-Tank genannt).
In unglaublicher Lautstärke macht er darauf aufmerksam, dass er gerne einmal wieder entleert werden würde. Ich frage mich, wie viele andere Leute jetzt wohl wach in der Koje liegen und tippe auf über die Hälfte. Es ist ein stummer Kampf mit ihnen darum, wer aus dem warmen, kuscheligen Bett aufstehen muss und den langen Weg in die Last beschreiten muss, um heldenhaft die Fäkalientanküberwachung auszuschalten.
Ich seufze, weil ich genau weiß, dass ich bei diesem schrillen Ton nicht mehr einschlafen kann und werfe die Decke von mir. Verschlafen stapfe ich den Gang entlang und stehe nach kurzer Zeit vor dem aggressiv blinkenden „Fäka-Tank-Cockpit“. Einmal kurz den schwarzen Kippschalter auf „OFF“ gestellt und schon ist es wieder ruhig. Da ich mich durch diese äußerst anstrengende Handlung sofort überfordert fühle, beschließe ich, auf schnellstem Weg in die Koje zurückzukehren, bis mein Blick auf die Wanduhr fällt: 01:40 Uhr. Noch fünf Minuten, bis ich zur Hafenwache geweckt werde. Sinnlos zu versuchen, noch etwas Schlaf zu finden – also gehe ich zurück in die Kammer, wo mir kurz darauf auch schon Luca entgegen kommt, die mir mitteilen will, dass ich in einer Viertelstunde mit Fine Hafenwache habe.
Ich nehme es widerstrebend zur Kenntnis und streife mir kurz meine Öljacke über, bevor ich mich aufs Hauptdeck begebe. Wir bekommen kurz erklärt, dass an Bord alles okay ist und es noch Sauerkraut in der Nachtwachenbox gibt. Das stimmt mich gleich versöhnlicher und nach einer kurzen Wettereintragung setze ich mich mit einer großen Tupperbox und zwei Gabeln zu meiner Wachpartnerin.
Wir losen kurz aus, wer die Sicherheitsronde gehen muss, bevor ich meine allnächtliche Fressrunde starte. Nachts um 02:30 Uhr isst man Sachen, die einem tagsüber ungenießbar vorkommen. Vor allem auf See trifft man sich nach der Wache gerne noch in der warmen Messe, um Brot mit Mayonnaise, pürierten Borschtsch oder Mett mit Zuckerrübensirup runterzuschlingen und die nach Generatorschluss schon recht abgekühlten Heißwasserreste zu einem lauwarmen Tee aufzugießen. Immerhin das ist seit Ankunft in Horta nicht mehr nötig, das Phänomen des Landstroms, der einen bisher unbekannten Komfort bietet, hat an Bord Einzug gehalten. Die ganze Nacht über Licht, Strom und Kaffee/heißes Wasser, das hebt die Laune vor der Wache schon beträchtlich, doch nimmt das Landstrom-Phänomen auch ungewöhnliche Auswüchse an.
Immer öfter überrascht einen der Blick ins Weckbuch, der zum Anfang jeder Wache ansteht. Dort steht dann etwas wie 02:40 Uhr und man fragt sich, was zur Hölle einen Menschen dazu bringt, mitten in der Nacht freiwillig aufzustehen. Wirft man jedoch etwa zehn Minuten später einen kurzen Blick in die Last, wirkt das zumindest für uns absolut verständlich. Schließlich bedeutet eine ganze Nacht lang Strom auch eine die ganze Nacht betriebsfähige Waschmaschine. Und während tagsüber die ganz normale Regelung der Waschtage gilt, lassen sich nachts mit etwas Geschick jede Menge Extrawäschen durchbringen, sodass man morgens seine frisch gewaschene und wenigstens theoretisch duftende Wäsche aus einer Kiste in der Last suchen darf. Man grüßt sich während der Sicherheitsronde also kurz vor der Waschmaschine, und sammelt nebenbei die durchaus vorkommenden Schlafwandler ein, ohne die Liste der während der Ronde durchzuführenden Dinge zu vernachlässigen. Sobald man die Wache dann nach anderthalb Stunden an die Ablösung übergeben hat, schleicht man leise zurück in die Kammer, dann in die Koje und dann ins Reich der Träume, wissend, dass der Fäka-Tank seine Stimme erst morgens durch den Maschinisten wiederfinden wird.

P.S.: Meinem kleinen Bruder wünsche ich alles Gute für ein neues Lebensjahr; ich liebe dich!

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