Ein gewöhnlicher und zugleich einzigartiger (Sams-)Tag

schueler.uriDatum: Samstag, der 14.11.2015
Mittagsposition: 31° 25,7′ N; 014° 21,3′ W
Etmal: 139 sm
Wetter: Lufttemperatur: 22,5° C, Wassertemperatur: 22° C, Wind: ENE5
Autor: Uri

„Guten Morgen Uri, es ist 08:45 Uhr. Du wolltest zum Frühstück mit deiner Wache geweckt werden. Draußen scheint die Sonne und es hat 21 Grad, ein T-Shirt reicht also völlig aus.“ Das sind die ersten Worte, die ich heute höre, während Amelie mich weckt. Ich ziehe mich also an und begebe mich dann in die Messe, wo schon einige aus meiner Wache (Wache 1) sitzen. Wir frühstücken gemeinsam und haben bis zu unserer Wachzeit von 11:00 Uhr bis 14:00 Uhr frei, wobei ‚Freizeit‘ vielleicht etwas übertrieben ist, denn heute ist Samstag und somit Großreinschiff und das bedeutet unter anderem, seine Kammer, Koje und Fächer aufzuklaren, bevor der Schiffsrat durch das gesamte Schiff geht und es auf Sauberkeit, Ordnung und Seeklarheit prüft. Jetzt heißt es also ‚ran an die Besen und Eimer‘ und los geht’s: Die nächste Stunde verbringe ich, zusammen mit meinen Kammermitbewohnern damit, Fächer zu leeren und auszuwischen, Wände, Decken, Lampen, Bodenleisten, Schuhfächer, einfach alles, zu putzen, bevor ich dann um 10:55 Uhr zu meiner Wache auf das Achterdeck zur Wachübergabe muss. Hier wird uns von Wache 4 erklärt, welche Segel wir gesetzt haben, welchen Kurs wir fahren und wie schnell, welche Schotts geöffnet beziehungsweise geschlossen sind und so weiter.
Die Wache verläuft recht ruhig, jedenfalls bis Pia und ich uns dazu bereit erklären, bei der Schiffsversammlung um 13:00 Uhr die wöchentliche Präsentation über Position und Wetter zu halten. Dafür holen wir uns eine große Seekarte aus dem Navigationsraum, schnappen uns die Wetterkarten für die nächsten drei Tage und entnehmen einige wichtige Informationen dem Schiffstagebuch, zum Beispiel die bisher zurückgelegte Strecke oder die noch bevorstehende Strecke bis nach Teneriffa. Nach dem sehr leckeren Mittagessen mit einer Kürbislasagne halten wir unsere Präsentation, dann geht es direkt los mit Großreinschiff auf allen Stationen, die da wären: Messe/Niedergänge, Last, Deck und Sanitär (Toiletten & Duschen), die diese Woche auch unsere Station ist. Dabei muss man die Toiletten, Duschen, Wände, Decken (auch im Deckshaus) und auch die Abflüsse reinigen, eine Aufgabe vor der sich selbstverständlich jeder zu drücken versucht.
Nach einer Stunde ist es dann endlich geschafft: Das Schiff ist sauber, der Schiffsrat, in dem ich selbst auch Mitglied bin, geht noch einmal durch alle Ecken und schaut auf letzte Details und dann beginnt endlich das Wochenende, eingeleitet durch die Seemannstradition ‚Besanschot an‘ bei der auch immer wieder kulturelle Beiträge vorgetragen werden. Für heute haben die beiden Projekte Seemansgarn und Kulthor und me(h)r gemeinsam ein umgedichtetes Lied vorbereitet und Ruth liest uns eine Passage aus „Alexander von Humboldt – seine Reise nach Südamerika“ vor. Auch ich habe – mehr oder weniger freiwillig – einen kulturellen Beitrag vorbereitet, und zwar ein Gedicht, als Entschuldigung für ein kleines Missgeschick, das mir gestern Nacht während meiner Maschinenronde passiert ist:

Ein KUSi läuft zu jeder Stund‘
verlässlich die Maschinenrund‘.
Man sollte, um nichts zu übersehen,
die Checkliste konzentriert durchgehen.
Der Stift ist mit der List verbunden,
sonst wäre er ganz schnell verschwunden.
Freitag, der 13., es passierte,
als ich mit dem Stift hantierte.
Hinein in die Bilge fiel er ganz leise
und begab sich auf eine geheimnisvolle Reise.
Da liegt er jetzt ganz einsam und allein,
soll das nun wirklich sein Ende sein?
Doch ist er nicht ganz fort,
er liegt nur an ’nem anderen Ort.
Lieber Willi, es tut mir wirklich sehr leid,
dass ein Stift weniger dir nun bleibt.

Hier auf der Thor werden ziemlich viele Gedichte geschrieben, hauptsächlich als Wiedergutmachung für Verspätungen bei der Wachübergabe. Aber jetzt erst einmal zurück zum Tagesverlauf.
Nach ‚Besanschot an‘ versammeln sich alle Schüler zur Schülerversammlung, die wie Großreinschiff normalerweise jeden Samstag stattfindet. Hier besprechen wir heute hauptsächlich Themen, wie die neue Etappe (Teneriffa-Grenada) betreffen. Zu Anfang stellen die Lehrkräfte, die Wahlpflichtfächer vor, also Wahlfächer, bei denen man sich zwischen Astronavigation, Englischer Konversation, Spanischer Konversation, Technik, einer Schreibwerkstatt und Meeresbiologie entscheiden muss. Diese werden dann zusammen mit dem Unterricht, also nach Teneriffa, beginnen. Darauf teilen wir die neuen Beauftragungen, solche wie Nachrichten, Bordwäsche, Rescueboot sowie weitere für die nächste Etappe ein. Es gibt immer jeweils zwei Beauftragte und jeder KUSi bekommt eine Beauftragung. Der spannendste Teil, der Teil der Versammlung, auf den alle warten, wird auch noch vorgestellt: Die Wach- und Kammereinteilung für die nächste Etappe, die wir, unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien, teils sogar selbst bestimmen konnten. In der Schülerversammlung am vorherigen Mittwoch haben wir vergeblich versucht, alle zusammen diese Einteilung zu erarbeiten, bei der am Ende aber einige nicht zufrieden waren, was wiederum dazu führte, dass zwei Schüler und zwei Schülerinnen zusammen mit Ruth eine neue Einteilung ausarbeiteten. Dieses Mal sind alle mehr oder weniger zufrieden, so oder so werden die Wachen und Kammern nach der Etappe Teneriffa-Grenada noch einmal komplett durchgemischt.
Als krönender Abschluss des Tages findet auch wieder einmal der Filmabend statt, bei dem wir heute „Paulette“ schauen.
So ungefähr verläuft ein typischer (Sams-)Tag an Bord ab, wobei typisch ja ein sehr dehnbarer Begriff ist. Oft sind die Tage so ähnlich zueinander und doch so verschieden zugleich. Mal ist es ein Referat hier, ein Vortrag da, manchmal Delphine oder Wale oder manchmal auch alleine das Wetter, das jeden Tag einzigartig macht.

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