Weltenwechsel

schueler.lukasDatum: Montag, der 25.01.2016
Mittagsposition: 11° 19,4′ N; 081° 24,1′ W
Etmal: 75 sm
Wetter: Lufttemperatur: 27° C, Wassertemperatur: 28°C, Wind: N5
Autor: Lukas

„Sag mal ein Wort, das du persönlich mit der Reise verbindest.“ – „Abenteuer oder so.“ – „Nee, das ist ja langweilig…“ – „Ja stimmt, wieso fragst du eigentlich?“ – „Tagebuch von vor drei Tagen, da ist nichts passiert und ich brauch ein Thema.“
Den Laptop vor mir liege ich in Kammer 9 zwischen Biologie lernenden Mitseglern mit dem festen Vorsatz, dieses Tagebuch bald in den Ordner „fertig geschrieben“ abspeichern zu können. Es gibt Tage, an denen nichts, aber überhaupt gar nichts passiert und der 25. war so ein Tag. Keine Kreativität weit und breit, kein Sauerstoff weit und breit, keine Schokolade weit und breit… schlechte Voraussetzungen für ein Tagebuch. Als mögliche Rettung kommt Sonja vorbei.
„Sag mal ein Wort, das du persönlich mit der Reise verbindest.“ – „Über sich hinauswachsen.“ – „Das ist ja kein Wort.“ – „Weltenwechsel.“ – „Ich denk mal drüber nach, vielen Dank!“
Ich muss an die Situation denken, als wir in Bocas del Toro vor Anker das Kuba-Landprogramm vorgestellt bekommen haben. Gerade erst von den Nasos abgereist, nach einer Nacht in neu gekauften Hängematten kam schon die nächste, völlig andere Welt. Zwischen den Welten liegt unser Leben auf der Thor, zwar wie unsere ganze Reise voll von Plänen für Wache, Backschaft, Freiarbeit, Tagebücher und alles andere zu Planende, aber trotzdem unplanbar. Unplanbar aber gewohnt. Was aber nicht heißt, dass es an Bord nichts Neues gibt, ganz im Gegenteil. Während man sich auf den Landaufenthalten vollkommen dem Ansturm von Eindrücken öffnet, ist es auf See schön, wieder Zeit für die kleinen Dinge wie eine gemütliche Stunde am Abend zusammen oder ein Gespräch während der Wache zu haben. Gerade nach Panama gibt es viel Gesprächsstoff, auch zwischen Stamm und Schülern über die Erlebnisse und persönlichen Highlights an Land.
„Du, ich geh dann mal schlafen, ich hab in drei Stunden wieder Wache und danach ist noch Großgroßreinschiff für Kuba.“ – „Könntest du bitte mit dem Kammeraufklaren schon mal anfangen? Ich mach dann morgen den Oberlichtschacht sauber, aber dass wenigstens der Boden schon gewischt ist.“ – „Verdammt… mir fällt grad ein, ich hab noch ein Feedbackgespräch anstehen und mein Tagebuch muss ich auch noch fertig machen. Wird wohl nichts mit Schlafen.“
Kuba steht vor der Tür, naja, eigentlich eher die kubanischen Behörden bald an Deck. Hygienekontrolle, Passkontrolle, Einklarieren, das ganze Programm. Für uns bedeutet das: eine Tag- und Nachtputzaktion steht an, alles muss glänzen damit wir hinein dürfen in die Welt der alten Autos und Zigarren. Sonst ginge es mit dem Stamm nach Mexico.
„Gibst du mir mal den Käse?“ – „Mmmh! Panamaische Qualität.“ – „Danke.“ – „Die Plastikwurst auch?“ – „Gib her, ist eh schon nichts mehr zu retten!“ – „Schmeckt das!?“ – „Es ist komisch, aber alles, was wir sonst einzeln niemals essen würden schmeckt zusammen erstaunlich erträglich.“
Die Zusammensetzung des Sandwiches von unten nach oben: Pumpernickel, gelbliche chemisch aussehende Butter, Salat, Wurst, Käse, Meerrettich, Käse, Wurst, Pumpernickel. Dazu gibt es Tee aus Deutschland mit Honig aus Teneriffa. Weltoffen muss man sein zwischen den Welten, sonst ist man in diesem Projekt fehl am Platz.
An Bord haben wir also unsere eigene Welt, eine Kombination aus allem, dem wir auf der Reise begegnet sind und noch begegnen werden, nur teilweise mit daheim und der Außenwelt verbunden. Manchmal werden wieder die Nachrichten vorgestellt und es geht um Flüchtlinge, Steuern und den Wahlkampf in den USA, doch es ist schwer, sich auf solche abstrakten Dinge zu konzentrieren und das Gehörte zu verarbeiten, wenn man gerade aus dem Rigg kommt und von oben die unglaubliche Lage einmal wieder gesehen hat: Ein Segelschiff irgendwo auf dem Meer zwischen Panama und Kuba.
Wir reisen von Welt zu Welt und leben doch in einer ganz eigenen, mit einer eigenen Sprache, einer eigenen Kultur, eigenem Essen und eigener Musik. Die Erlebnisse an Bord und die Länder, die noch vor uns liegen, werden unser Leben auf der Thor weiter beeinflussen, das ist klar. Spannend wird es nur, wenn wir in Kiel wieder einlaufen und auf die Welt treffen, die wir im Oktober verlassen haben und die unverändert geblieben ist.
Wir alle werden von dieser Reise verändert wieder nach Hause kommen, aber wer weiß, wie wir die Welt daheim verändern?

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