Lauras Traum

schueler.juliusDatum: Dienstag, der 15.03.2016
Mittagsposition: 32° 55,9′ N; 047° 57,9′ W
Etmal: 159 sm
Wetter: Lufttemperatur: 16° C, Wassertemperatur: 19,5°C, Wind: NNW 7
Autor: Julius

Physik lernen. Das ist zur Zeit unsere Hauptbeschäftigung auf der Thor, naja, wenn man mal Zeit hat. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet, als unsere Bib mit ihrer konzentrierten Arbeitsatmosphäre und zahlreichen verzweifelnden KUSis, die vergeblich versuchen, Thomas‘ Lösungsweg zu entschlüsseln. Auch an jenem Abend saßen wir wieder mit versammelter Mannschaft, bei dezenter Atemnot und übelstem Gestank, der durch den Verschlusszustand nicht gerade besser wurde, in der Bibliothek, als Laura die Tür öffnete, einatmete und sich trotz der Wolke, die ihr entgegen kam, zu uns setzte. Kopfschüttelnd aufgrund unseres Eifers, um uns abzulenken und zu verhindern, dass unsere eh bereits zum Himmel qualmenden Köpfe zerplatzen, erzählte sie von ihrem grandiosen Einfall:
„Ich war ja bereits auf der letzten Reise hier auf dem Nordatlantik dabei und da ist mir eingefallen, wie praktisch es wäre, wenn man mit einem der zahlreichen Pottwale, denen wir auf dieser Reise leider noch nicht begegnet sind, über den Atlantik fahren könnte. Deshalb habe ich bereits in Deutschland angefangen, ein Pottwalgeschirr zu nähen, das ich nun auf dem Weg über den Atlantik fertiggestellt habe. Im Moment lagert es auf dem Zwischenboden und wartet darauf, benutzt zu werden. Der Plan sieht wie folgt aus: Irgendwo zwischen den Bermudas und den Azoren werde ich uns einen Pottwal fangen, genannt Olga. Und weil ich euch ja etwas bieten will, segeln wir nicht mehr über den Atlantik, sondern werden von ihm gezogen. Außerdem werden wir Verschlusszustand 4 einrichten und dann zieht Olga uns in die Tiefe hinab. Dort machen wir uns dann Popcorn und setzen uns alle hinter die Bulleyes, um rausschauen zu können. Wenn Potti dann ein bisschen geschwommen ist, bekommt er sicher Hunger. Und was fressen Pottwale am liebsten? Natürlich gigantische Riesenkraken. Und weil Olga natürlich den Kampf gewinnen muss, habe ich zuvor mit ihm ein kleines Pottwal-Guerilla-Training durchgeführt, um mit ihm eine Taktik auszuarbeiten. Noch nie hat ein Mensch den Kampf dieser beiden Meeresungeheuer gesehen. Aber wir werden die ersten sein und natürlich alles filmen, um es später für viel Geld zu verkaufen. Damit wir das Spektakel auch durch die Bulleyes der Thor sehen können, müssen wir uns natürlich gut vorbereiten. Weil nämlich Kraken, wenn sie sich angegriffen fühlen, ihre Tinte um sich spritzen. Deshalb haben wir uns im Voraus schon einen Sponsor organisiert. Wir schreiben der Firma Lamy, ob sie uns 20 – 30 000 Liter Tintenkiller spenden können. Die laden wir dann an Bord und bauen spezielle Tintenkillerkanonen im Deckshaus ein. Denn Kanonen sind, wie ich euch ja immer gesagt habe, wichtig! So können wir sehen, wie Potti den gigantischen Riesenkraken bezwingt und dann auch gleich drei der acht Tentakel vernascht. Aus den restlichen Armen machen wir dann Tintenfischringe, die wir zur Feier des Tages im Bräter frittieren, wobei einer der Ringe ausreicht, um den Bräter zu füllen. Den Rest der Arme nehmen wir mit, um sie zusammen mit dem Filmmaterial zu verkaufen. Gut gesättigt können wir dann mit Potti kurz vor den Azoren auftauchen und ihn auf den Willen von Linn wieder in seinen natürlichen Lebensraum entlassen, auch wenn wir ihn gerne zumindest bis zur Nordsee behalten hätten. Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute.“
Wir saßen in der Bib und krümmten uns vor lachen aufgrund von Lauras Erzählstil und ihrer dezent komischen Gedankengänge, die ihr wahrscheinlich beim Nähen irgendwelcher Segel gekommen sind. Als sie dann nach ausführlicher Diskussion über ihren Plan wieder gegangen war, fokussierten wir uns wieder auf Physik, bis sich die Versammlung um 22:00 langsam begann aufzulösen, da viele sich vor ihrer Wache oder dem morgigen Schultag noch einmal aufs Ohr hauen wollten und vor allem, weil Willi dann rumging und trotz unseres Lerneifers und einer überfüllten Bib das Licht ausknipste. Somit endete ein weiterer sehr stürmischer Tag auf See und auch, wenn der Wind bereits am Vormittag stark nachgelassen hat, konnte man von unten immer noch die Wellen hören, die oben am Schanzkleid brachen und das Hauptdeck fluten.

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