Aus dem Tagebuch vom Nikolaus

schueler-louiseDatum: Dienstag, der  06.12.2016
Mittagsposition: 13°27,0 ‚ N; 060° 40,4‘ W
Etmal: 135 sm
Wetter: Lufttemperatur: 30.5° C, Wassertemperatur: 29°C, Wind: ENE4
AutorIn: Louise

Da war er wieder, mein Hauptarbeitstag. Nachdem ich mich ein Jahr lang von ihm erholen konnte, weckte mich mein Knecht Ruprecht mit dem Hinweis, dass ich heute wieder alle Kinder der Welt besuchen sollte. Zumindest die, die brav waren, um die anderen würde sich Ruprecht kümmern. Nachdem wir schon fast überall waren, fiel Ruprecht und mir gleichzeitig noch etwas sehr Wichtiges ein: Die letzten Jahre waren wir doch auch immer noch auf dem Segelschiff voller Jugendlicher und ungeputzer Schuhe!
Wir schafften es mit Müh und Not unsere Renntiere noch einmal zu motivieren loszulaufen, indem wir ihnen eine dreifache Portion Möhren versprachen und machten uns auf den Weg nach – ja, wo waren die eigentlich gerade?
Sie fahren ja immer im Oktober los und müssten also schon recht weit gekommen sein. Deshalb begannen wir unsere Suche im Raum der kleinen Antillen. Wir flogen über lauter kleine Inseln voller Palmen, aber zwischen den ganzen Booten und Schiffen dort konnten wir die Thor Heyerdahl nicht ausmachen. Wir beschlossen also, unsere Suche weiter in Richtung Atlantik fortzuführen. Was wir vor allem sahen, war Wasser. Wasser, so weit das Auge reicht, und plötzlich konnte ich verstehen, was diese Jugendlichen aufs Meer zieht. Diese Weite, nichts, was den Horizont unterbricht, das kenne ich eigentlich nur aus der Luft. Ich war noch ganz in Gedanken versunken, als Ruprecht plötzlich rief: „Da unten! Siehst du den roten Punkt? Das könnten sie sein!“
Wir setzten zur Landung an und tatsächlich: Es war die Thor Heyerdahl, wir hatten sie gefunden. Leise setze mich Ruprecht auf dem Vorschiff ab, wobei wir gut darauf achten mussten, dass uns die Nachtwache nicht bemerkte. Ich warf einen kurzen Blick auf das Achterdeck, drehte mich aber gleich schaudernd wieder um. Als ich vor neun Jahren das erste Mal auf der Thor war, hatte ich nämlich nach alter Tradition versucht, durch den Schornstein ins Innere des Schiffs zu gelangen. Nicht nur, dass dieser eine sehr ungünstige Form und Größe hat, nein er führt auch noch direkt in den Maschinenraum! Ich hatte damals die Nachtwache mit meinem Gepolter unheimlich verwirrt und außerdem auch noch meinen Mantel mit Ruß und Öl beschmiert. Um nicht zu sehr an diese Nacht denken zu müssen, begann ich gleich mit der Arbeit.
Soweit ich das mitbekommen hatte, waren die Schüler überwiegend brav im letzten Jahr, weshalb ich Ruprecht guten Gewissens im Schlitten warten lassen konnte. Das Erste, was mir jedoch im Kammergang unangenehm auffiel, war der Geruch von ungeputzen Schuhen. Mit der Zeit entwickelt man ein gewisses Gespür dafür. Als ich aber genauer hinsah, bemerkte ich, dass die Schuhe zwar alle recht sauber aussahen, aber trotzdem intensiv rochen. Diesem Mysterium wollte ich jedoch erst später auf den Grund kommen und nun meine eigentliche Arbeit erledigen. Ich zwängte mich zunächst mit meinem dicken Sack (und dickem Bauch) durch den Gang, der offensichtlich nicht für diesen Zweck entwickelt worden war, und legte in jeden Schuh einen Beutel mit Erdnüssen, etwas Schokolade und einer Mandarine. Als ich schon fast in der Messe angekommen war (ich hatte ganz vorn in Richtung der Last angefangen), hörte ich plötzlich jemanden den Niedergang runterpoltern. Ich versteckte mich schnell in Kammer 10, um nicht aufzufliegen. Es war zum Glück nur ein Schüler, der die Sicherheitsronde ging und so konzentriert war, dass er mich nicht bemerkt hat.  
Als ich wieder an der frischen Luft und mit Ruprecht im Schlitten war, rätselten wir gemeinsam, woher dieser undefinierbare Geruch herkam. Da wir es uns beide nicht erklären konnten, beschlossen wir, die Thor an diesem Tag noch etwas zu beobachten. So wie es aussah, hatten im Moment die Jugendlichen das Kommando übernommen. Das fiel uns vor allem deshalb auf, weil es eine Kapitänin und zwei Steuerfrauen gab. Auch alle anderen Positionen schienen von Schülern besetzt zu sein, weil die Crew den ganzen Tag sehr entspannt herumlief. Das hat, so wie es aussah, sehr gut geklappt. Gegen Abend wurden die Segel geborgen und anscheinend sahen die Schüler spätestens da Land. Sie waren nämlich ständig vom Manöver abgelenkt, zeigten aufgeregt in Richtung der Lichter. Sie waren wohl sehr lange auf dem Atlantik und nur vom Wasser umgeben. Als alle Segel geborgen waren, strömten die Teilnehmer wie Ameisen aufs Achterdeck. Dort wurden alle mit einem gekühlten Getränk versorgt, bevor der ältere Kapitän, der sonst das Schiff leitet, ein paar Worte sprach. Danach sagten auch ein paar Schüler noch etwas (das glaube ich zumindest, sie sind jedenfalls aufgestanden) und dann sind alle in einen Jubel ausgebrochen, den ich so noch nie gehört habe. Bis zu meinem Schlitten haben wir es gehört. Über irgendetwas müssen sie sich da unten sehr gefreut haben. Dem Schuhgeruch sind wir nur bedingt auf den Grund gekommen. Wir einigten uns dann darauf, dass der wohl von den Sandalen, die ständig vom Salzwasser getränkt sind, herrührt und flogen wieder in den Norden.

Menu